18.11.2002 Die Angst der Bush-Regierung vor dem Krieg ...

Die Angst der Bush-Regierung vor dem Krieg...
und der Zwang, ihn zu führen

[Englisch]

In Italien, Frankreich, vor allem aber in den USA und in England gehen viele hunderttausend Menschen auf die Straße, um gegen den bevorstehenden Krieg der USA gegen den Irak zu protestieren. Sie tun dies aus verschiedenen Gründen und mit unterschiedlichen Vorstellungen darüber, warum die Bush-Cheney-Rice-Clique diesen Krieg unbedingt führen will.

Um gegen Krieg zu sein, brauchen wir nichts über seine jeweiligen Hintergründe zu wissen. Kriege sind immer Massaker im Interesse der Herrschenden. Ob Bush oder Saddam Hussein, ob Schröder oder Bin Laden, ob Sharon oder Arafat - Krieg und Terroranschläge dienen ihnen zur Sicherung ihrer Macht und zur Aufrechterhaltung von Zuständen, auf denen ihre Macht beruht. Krieg ist die zugespitzte Form und Demonstration der Gewalt, auf denen die kapitalistische Ordnung, das alltägliche Arbeitsgefängnis und die Macht des Geldes beruhen (Globaler Krieg um die Ordnung der Welt).

Um wirksam und effektiv gegen den Krieg vorgehen zu können, müssen wir aber seine (Hinter-)Gründe und politische Bedeutung verstehen und öffentlich klarmachen können. Wir dürfen unsere Gegner nicht unterschätzen, auch wenn sie als ein vertrottelter US-Präsident aus dem Öl-Business daherkommen (siehe Midnight Notes: Die erste Regel des Friedens: Respektiere deine Feinde) - wir sollten sie aber auch nicht überschätzen.

Eine gemeinsame Stimmung bei den heutigen Protesten gegen den Krieg scheint das Gefühl zu sein, ohnmächtig gegen die Pläne einer Weltmacht anzutreten, die sich nicht stoppen läßt. In der BRD, wo am weltweiten Aktionstag gegen den Krieg am 26. Oktober sehr viel weniger Leute auf die Straße gingen, paart sich dieses Ohnmachtsgefühl mit der verhängnisvollen Tendenz, die Opposition gegen den Krieg an den eigenen kapitalistischen Staat zu delegieren.

In der Anti-Kriegs-Bewegung werden verschiedene Gründe für den geplanten Angriff auf den Irak diskutiert und gegeneinandergestellt. Aber wir können den heutigen Drang zum Krieg nicht begreifen, wenn wir nur isolierte Ausschnitte der kapitalistischen Totalität betrachten und die verschiedenen Gründe gegeneinander ausspielen - statt zu verstehen, wie sie als Momente dieses weltweiten Systems zusammenhängen.

  • »Das neue Imperium«: Die USA sind heute die alleinige Supermacht auf der Welt, mit Abstand die stärkste militärische und auch ökonomische Macht. In allen Kriegen der USA geht es darum, diese imperiale Machtposition abzusichern. In den USA wird eine breite Diskussion um »das neue Rom« geführt, werden Imperialismus und Kolonialismus rehabilitiert und als Zielsetzungen der us-amerikanischen Außenpolitik empfohlen.
     
  • »Die Konkurrenz der Nationalstaaten«: Im Kampf um die Weltherrschaft geraten die USA mit anderen Staaten aneinander: dem Euro-Block in Westeuropa, der Ex-Supermacht Rußland, der möglicherweise kommenden Großmacht China. Viele Spannungen, z.B. das Gerangel um eine UN-Resolution gegen den Irak, der Handelskrieg zwischen den USA und der EU oder die Angst der US-Ökonomen vor dem Euro als einer zweiten Weltwährung, passen nur zu gut in das traditionelle Bild von der »imperialistischen Konkurrenz«. Ein Krieg der USA gegen den Irak ist ein Krieg gegen ihre imperialistischen Widersacher: China, Rußland, die EU (vor allem Deutschland und Frankreich) oder Japan.
     
  • »Geostrategische Ziele«: Im Kampf um die Weltherrschaft zählt der »Raum«. Mit der Aufteilung der Welt in zwei Machtblöcke nach dem II. Weltkrieg war »Geopolitik« in den Hintergrund getreten. Heute wird sie wieder breit diskutiert. Afghanistan ist zwar als Land unbedeutend, seine Bombardierung eröffnete aber den USA eine ganz neue Möglichkeit, sich in Zentralasien festzusetzen. Als »geostrategischer Raum« ist diese Region so bedeutsam, weil sie mitten zwischen den Großmächten Westeuropa, China, Rußland und Indien liegt.
     
  • »Krieg um Öl«: Seitdem Öl zum zentralen Energieträger der kapitalistischen Produktion und zum wichtigsten Treibstoff jeder Kriegsführung geworden ist, spielen Ölvorkommen, -produktion und -transport eine zentrale Rolle. Der Angriff auf den Irak soll den USA den Einfluß sichern, den sie mit dem Wegbrechen ihres strategischen Verbündeten Saudi-Arabiens verlieren könnten. Die militärische Präsenz in Zentralasien verschafft ihnen Einfluß auf das Öl vom Kaspischen Meer. Das neue militärstrategische Interesse der USA an Afrika beruht auf dem starken Anstieg der dortigen Ölproduktion. - Umgekehrt liegen hier die Sorgen von China, Frankreich, Rußland usw.: durch die Besetzung der irakischen (und möglicherweise auch der saudi-arabischen) Ölfelder könnten sie aus dem Geschäft gedrängt werden und die USA würden sich die alleinige Kontrolle über die globale Ölversorgung verschaffen.
     
  • »Innenpolitische Gründe«: Eine Regierung der USA, die nur durch Wahlbetrug an die Macht kam, die tief in die Skandale um Enron und andere Manipulationen verstrickt ist, die sich einen Untersuchungsausschuß zur Frage, wieviel sie vor dem 11.9. über die Anschläge wußte, gefallen lassen muß, und die mit einer dramatischen Wirtschaftskrise und gigantischen Auslandsschulden konfrontiert ist ... Diese US-Regierung hat genug Gründe, innenpolitische Schwäche durch außenpolitische Machtdemonstration zu kompensieren.
     

Viele dieser Argumente werden so verstanden, dass sich Staaten als selbständige Subjekte gegenüberstehen. Gerade wenn es um Krieg geht, drängt sich dieses falsche Bild unweigerlich auf. Aber der Kapitalismus und seine Reproduktion beruhen von Anbeginn auf einer internationalen Arbeitsteilung, auf Produktions- und Ausbeutungsketten, die über den Weltmarkt verbunden sind. Die einzelnen Nationalstaaten können nur auf dieser Grundlage existieren. Zugleich sind sie die wirksamste Form, den globalen Produktionszusammenhang, d.h. den globalen Zusammenhang der Menschen untereinander hinter der Konkurrenz der Nationalstaaten verschwinden zu lassen. Die Entstehung von Nationen bedeutete vor allem, die Proletarier an »ihren« Staat zu binden, der mit anderen Staaten konkurriert.

Die einzelnen Staaten können nur in einem Staatensystem existieren, innerhalb dessen sie wechselseitig ihre Staatlichkeit anerkennen - das wird dann »Souveränität« genannt. Was sie verbindet und worauf sie beruhen, ist die weltweite Sicherung der Ausbeutung, die auf einem staatenübergreifenden Zusammenhang von Produktion und Weltmarkt basiert. In der historischen Entwicklung dieses Zusammenhangs liegt der Schlüssel zum Verständnis des staatlichen Verhaltens - nicht umgekehrt. Mit der bürgerlichen Aufteilung in »Innen-« und »Außenpolitik« wird das Wesen der Staatlichkeit als gewaltsamer Absicherung von Klassenverhältnissen verschleiert.

Das Bild der konkurrierenden Nationalstaaten findet seine Bestätigung darin, dass es ein drastisches Gefälle im weltweiten Staatensystem gibt, wo schwächere Staaten von stärkeren beherrscht werden. Der kapitalistische Weltmarkt beruhte aber von Anbeginn an darauf, dass das Staatensystem von einer hegemonialen Macht dominiert wurde. Venedig, Genua, die Niederlande, das britische Königreich und die USA lösten sich nacheinander in dieser Rolle ab, wobei die Phasen der Dominanz immer kürzer wurden. Die jeweilige Dominanz einer Weltmacht war immer beides: Ausdruck ihrer Interessen und ihrer wirtschaftlichen Überlegenheit und zugleich Funktionsbedingung des gesamten globalen Ausbeutungs- und Verwertungszusammenhangs. Sie wurde dann von einer anderen abgelöst, wenn sie dieser Aufgabe nicht mehr gewachsen war und wenn auf einem anderen Staatsgebiet eine überlegene Produktionsweise sich entwickelt hatte, wenn also eine andere Großmacht den Job der weltweiten Absicherung der Klassenverhältnisse besser erledigen konnte und diese Überlegenheit gegen ihre Konkurrenten durchzusetzen in der Lage war. (Die auffälligen Parallelen im Niedergang des britischen Empires und im Niedergang der USA als hegemonialer Macht hat Arrighi dargestellt: The Global Market)

Solche Umbrüche vollzogen sich immer in Phasen der allgemeinen Krise des Weltkapitalismus und der Akkumulation von Kapital - und in einer solchen Phase befinden wir uns heute wieder. Seit Mitte der 70er Jahre versuchen die Staaten überall auf der Welt erfolglos, die Stagnation von Profit und Akkumulation durch einen Angriff auf die Lebensbedingungen des Proletariats aufzuhalten. In den 90er Jahren gelang es noch einmal, vor allem in den USA, einen Boom zu simulieren. Er basierte auf dem Hype des Internets und der New Economy, auf historisch einmalig niedrigen Ölpreisen und dem Aufbau einer gigantischen Blase an den Aktienbörsen. Seit zweieinhalb Jahren bricht dieser »Boom« in sich zusammen. Das ganze Ausmaß des Schwindels wird nach und nach auch für die »Öffentlichkeit« erkennbar, ein Ende der Krise ist nicht abzusehen, wir erleben zur Zeit eine gigantische weltweite Entlassungswelle.

In dieser Krise verbindet sich der Niedergang der USA als hegemonialer Macht mit der gesellschaftlichen Krise der gesamten kapitalistischen Weltordnung. Deshalb geht es immer um beides: das Streben der USA, mit Krieg ihre Stellung abzusichern (wozu dann all die aufgezählten Aspekte gehören: Geostrategie, Kontrolle der Ölwirtschaft, Sicherung des Dollars usw.) ist zugleich der Kampf um die Absicherung der kapitalistischen Ordnung.

Aber im Krieg selber liegt keine Perspektive der Entwicklung oder einer neuen Legitimation des Kapitalismus. Es steht in den Sternen, ob die USA ihre Dominanz durch Kriegspolitik sichern können, oder ob diese ihren Niedergang nur noch beschleunigt - so wie das Britische Empire seine Dominanz durch den Ersten Weltkrieg endgültig einbüßte. Die Stärke der US-Ökonomie, auf die sich die Ideologen des »neuen Rom« berufen, beruht seit über zwanzig Jahren nur noch auf der Fähigkeit, ausländisches Kapital anzuziehen. Vom Geldgeber der Welt sind die USA zum größten Schuldner der Welt geworden. Krieg und militärische Überlegenheit ist das letzte Mittel, mit dem sie die Abhängigkeit der Welt von ihrer Konjunktur und ihrer Währung behaupten können - und zugleich liegt in dem gigantischen Aufrüstungsprogramm und dessen Einsatz die Gefahr, einen schockartigen Abfluß von Kapital auszulösen. An der Dollarschwäche im ersten Halbjahr 2002 und seinem erneuten Abrutschen im November ist diese Perspektive deutlich geworden. Die Ungewißheit darüber, was ein »Schießkrieg« für die Rolle der USA und die globale Entwicklung bedeuten würde, zeigt sich auch in den militärischen und diplomatischen Debatten. Von Anfang an gab es starke Einwände im US-Militär gegen eine Besetzung des Irak, momentan werden (nun auch in der Öffentlichkeit) die Probleme »urbaner Kriegsführung« durchgespielt. Dabei zeigen sich die Grenzen militärischer Macht, wenn es um die gesellschaftliche Kontrolle geht. Und es zeigt sich auch, dass das »Vietnam-Syndrom« keineswegs überwunden ist. Die Kriegsstrategen haben große Sorgen - und Umfragen erhärten das -, dass der seit dem 11.9. hochgekochte Patriotismus in sich zusammensackt, wenn ein Bodenkrieg massive eigene Verluste fordert.

Die Bush-Regierung ist entschlossen, diesen Krieg zu führen. Nicht aus freien Stücken, sondern weil ihr kaum noch etwas bleibt: innenpolitisch, ökonomisch, geostrategisch ... Die - erfolgreiche (!) - Demonstration von Macht wird um so wichtiger, je krisenhafter sich das Kapital entwickelt. In der Phase 1945 bis Mitte der 70er Jahre konnte das Kapital den Klassenkampf mit dem Versprechen steigender Löhne und nationaler Entwicklung eindämmen. Mit dem Ende des spekulativ simulierten Booms hat es keinerlei Perspektiven mehr anzubieten. In diesem Sinne sind Kriege auch immer Reaktionen auf bedrohliche Situationen im Klassenkampf. Das Kapital ist heute nicht mit einer globalen Welle von Streiks und Revolten wie 1968-73 konfrontiert, aber trotz aller neoliberalen Propaganda ist es den Regierungen der kapitalistischen Staaten nicht gelungen, die Krise auf das Proletariat abzuwälzen. In dieser Situation werden schon einzelne und noch isolierte Konflikte wie die Revolte in Argentinien, der Kampf der Hafenarbeiter an der Westküste der USA oder die Streiks der U-Bahn-Fahrer und Feuerwehrleute in England zu einer Bedrohung. Sie zeigen den Herrschenden die Grenzen ihrer Krisenpolitik gegen das Proletariat auf und in ihnen können die Menschen auf neue Ideen kommen, wie sie ihren gesellschaftlichen Zusammenhang jenseits von kapitalistischer Ausbeutung und staatlicher Gewalt gestalten könnten.

Weil so ungewiß ist, was ihre Kriegspolitik bewirken oder auslösen könnte, hat die Bush-Regierung auch Angst davor. Sie muß sich nach allen Seiten absichern und kann nur noch mühsam die Zustimmung von Alliierten gewinnen, auf die sie angewiesen ist.

Die Bewegung gegen den Krieg kann nur stark werden, wenn sie den Krieg nicht schon als gegebene Tatsache hinnimmt und sich selber als ohnmächtigen Protest versteht. Sie muß überall und auch sich selber klarmachen, dass die heutige Kriegspolitik Ausdruck eines historisch vergänglichen Systems ist, dessen Perspektiven vorbei sind. Sie agiert gegen einen Feind, der schwach, gespalten und unsicher über die Möglichkeiten seines Machterhalts ist. Er ist deswegen nicht weniger gefährlich, sondern aus seiner Auswegslosigkeit heraus zu allem entschlossen. Aber er stößt heute überall auf die Grenzen seiner Macht.

»Unser Feind ist hier, es sind die, die unser Leben kommandieren. Und es wird dabei auch um die kleinen Dinge des Alltags gehen: hier müssen wir Widerstand leisten und überall angreifen, wo wir können.« (Das dritte internationalistische Lager)

 

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