Editorial
Debatten-Heft
Diese Nummer des Wildcat-Zirkulars besteht zum größten Teil aus Texten, die Diskussionen anschieben sollen. In den letzten Nummern haben wir umfangreiches Material veröffentlicht und nur in den Editorials oder in Anmerkungen knapp vermerkt, warum wir es wichtig für die Diskussion finden und ein paar Kritikpunkte angedeutet. Von einigen LeserInnen des Zirkulars kamen bereits Anfragen, genauer auf den Stellenwert dieser Texte für uns einzugehen und unsere eigenen Positionen dazu zu formulieren. Wie sich an den einleitenden Bemerkungen des letzten und vorletzten Zirkulars leicht ablesen ließ, ist sich auch der Herausgeberkreis des Zirkulars nicht über den Stellenwert dieses Materials einig - und auch nicht darüber, in welche Richtung die Diskussion im Zirkular gehen sollte. Bisher wurden diese Meinungsverschiedenheiten aber nicht offen ausgetragen und die dahinterstehenden theoretischen und politischen Fragen nicht deutlich formuliert. Wir hoffen, daß die beiden Diskussionsbeiträge in dieser Ausgabe einen Schritt in diese Richtung machen.
Im »Offenen Brief an John Holloway« haben wir einige grundlegende Kritikpunkte an seinen Thesen zusammengefaßt. Gerade an seinen von uns für das Zirkular übersetzten Texten haben wir in den letzten Monaten intensiv diskutiert. Sie waren für uns äußerst hilfreich, um einer theoretischen Kritik am Kapitalismus näherzukommen und die Radikalität der Fragestellungen zu schärfen. Andererseits überzeugen seine Thesen oft nicht in der Durchführung und reichen als Antworten auf die politischen Probleme nicht aus. John Holloway hat uns bereits zugesagt, in einem der nächsten Zirkulare auf unsere Einwände zu antworten. (Unser »Offener Brief« bezieht sich in einem Abschnitt auf einen neueren Text von ihm, den es nur in der englischen Fassung gibt. Er hatte uns daher gebeten, in diesem Zirkular wenigstens einen kurzen Vortrag abzudrucken, in denen er seine Thesen zur »Würde« vorstellt. Leider haben wir das auch nicht mehr geschafft, werden es aber im nächsten Zirkular nachholen.)
In »Asien, wir und die Revolution« geht es um die Diskussion innerhalb des Herausgeberkreises. Wer diese Auseinandersetzung genauer nachvollziehen will, wird nicht umhin können, sich einige der dort erwähnten Beiträge aus früheren Zirkularen nochmal anzuschauen. Im Titel wird zwar der Eindruck erweckt, daß hier genauer über die Bedeutung der Klassenkämpfe in Asien diskutiert wird. Es handelt sich aber zunächst nur um eine Diskussion über die Art und Weise, wie wir uns mit den Entwicklungen in der »Weltarbeiterklasse« auseinandersetzen und in welchem Verhältnis unsere eigene politische Befindlichkeit zur Wahrnehmung von Klassenkämpfen in anderen Teilen der Welt steht. Der Beitrag soll daher keinesfalls das Thema Asien »erledigen«, sondern Anstoß zu einer theoretisch und politisch präziseren Untersuchungsarbeit sein.
Eine längst überfällige und wichtige Buchkritik hat uns Werner Bonefeld aus England geschickt: »Postfordismus, Globalisierung und die Zukunft der Demokratie: Zu Joachim Hirschs 'Der nationale Wettbewerbsstaat'«. Es ist ein Armutszeugnis der deutschsprachigen Linken, daß dieses Buch zu einer der meist zitiertesten Quellen in Fragen »Globalisierung« werden konnte. Werner Bonefeld zeigt in seiner Kritik, daß sich die theoretischen Aussagen von Hirsch nicht von seinen politischen Vorschlägen am Schluß trennen lassen. Sicherlich hatten einige angesichts der Vorschläge für einen »radikalen Reformismus« und Passagen, die sich wie bessere Politikberatung lesen, gestutzt. Aber von solchen Vorbehalten unberührt, wurde seine theoretische Analyse für einen wichtigen kritischen Beitrag zur Globalisierungsdiskussion gehalten. Anders wäre auch kaum erklärlich, warum diese Anleitungen zum Reformismus von einem Verlag herausgebracht wurden, der sich bisher mit Schriften der revolutionären Linken einen Namen gemacht hatte. Bonefeld zeigt aber, daß die reformistischen Schlußfolgerungen nur die logische Konsequenz aus einer Analyse sind, in der von der schicksalshaften Notwendigkeit bestimmter Kapitalentwicklungen ausgegangen wird, die sich höchstens noch in einem humanen Sinne moderieren ließen. Die Popularität des Buches dürfte darauf beruhen, daß diese Sichtweise unkritisch das aktuelle politische Lebensgefühl übernimmt und ihm eine theoretische Form gibt. Das macht verständlich, warum sich Gruppen aus der revolutionären Linken (wie »Arranca« oder »Blauer Montag«, deren Vorschläge wir in den kommenden Zirkularen genauer beleuchten wollen) zusammen mit den theoretischen Einsichten von Hirsch auch einen Teil seiner politischen Vorschläge zu eigen machen.
Als Nachtrag zu dieser Buchkritik drucken wir eine kurze Rede, die John Holloway in Mexiko anläßlich des Erscheinens eines Sammelbands mit Schriften von Hirsch auf spanisch dort gehalten hat: »Kommentar zu Joachim Hirsch: »Globalización, Capital y Estado«.
Das Manifest »Die Glücklichen Arbeitslosen auf der Suche nach unklaren Ressourcen« haben wir aus Berlin zugeschickt bekommen und drucken es hier ab. Auch wenn wir nicht in allen Punkten übereinstimmen, können wir ihm nur eine größere Bekanntheit in der hiesigen Linken wünschen. In einer Zeit, wo neue »Links«-Regierungen in England und Frankreich ihre politischen Ziele sofort mit massenhaften Zwangsarbeitsprogrammen gegen Jugendliche unterstreichen, wo Scharfmacher in der SPD wie Simonis oder Schröder den Arbeitszwang gegen Arbeitslose und Sozialhilfeempfänger propagieren und wo der Linken auch nichts Dümmeres einfällt, als für Arbeitsplätze durch Europa zu marschieren - in solchen Zeiten können wir uns nur mehr Beiträge wünschen, die sich gegen den breiten Konsens für Arbeitsplätze wenden. Dabei heben sich »Die Glücklichen Arbeitslosen« auch von anderen Propheten des »Endes der Arbeitsgesellschaft« wie Robert Kurz oder Jeremy Rifkin ab, die von einer gemütlichen Welt der Eigenarbeit träumen und darüber die globale Macht des Kapitalverhältnisses vergessen. Im August haben »Die Glücklichen Arbeitslosen« in Berlin eine Veranstaltungen gemacht; ein Genosse von uns war dort und hat einige Anmerkungen formuliert, die wir im Anschluß an ihre Texte abdrucken. F.
Zuschrift:
Zusammen mit einer Bestellung älterer Zirkulare schrieb uns ein Leser aus Tübingen die folgenden Anmerkungen. Wir finden, daß sie ganz gut ausdrücken, worum es uns mit der Diskussion im Zirkular geht:
»Daß Ihr schreibt, Ihr bringt solange kein Wildcat-Heft unter die Leute, als Ihr nicht wißt, was Ihr denen gegenwärtig zu sagen habt [so ähnlich hatten wir auf die briefliche Anfrage, wo denn die Wildcat bleibt, geantwortet] - hebt sich wohltuend ab von der Flut von Publikationen linker Schriftsteller (Bahamas, Kritik + Krise, Arranca...). Am Wildcat-Zirkular interessieren mich am meisten die sogenannten Theorieartikel, insbesondere die Übersetzungen. Das hat eine ganz wichtige Bedeutung für die Diskussion der Linken (besserer Begriff fällt mir nicht ein), weil sonst diese Art zu denken (Theorie im Rahmen eines praktischen Projekts / »operaistisch«) gar nicht bekannt wäre.
Zudem finde ich es einen wichtigen Schritt hin zu größerer Genauigkeit - manche früheren Wildcat-Hefte waren von einem oberflächlichen/euphorischen Blick auf »die Kämpfe weltweit« geprägt.
Auf der anderen Seite ist mir auch klar, daß viele Leser mit Theorie-Doppelheften vor den Kopf gestoßen werden. Vielleicht sollte man mal einen längeren Artikel eigens dazu schreiben (so wie das Editorial der Nr. 30/31!), also über das »Theorie/Praxis-Verhältnis«, warum gegenwärtig so viele grundlegende Fragen ungeklärt sind, - und daß deren Beantwortung (vorläufig) nicht nur im Kontext Krise-Klassenkampf wesentlich ist, sondern gerade auch für das »wohin«, die Neubestimmung eines kommunistischen Projekts.
Lieber Gruß, ***