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25.02.2025

Raus aus der Schockstarre!

»Der Zustand der Autoindustrie ist eines der sichtbarsten Elemente einer allgemeinen Krise der Industrie.«

Am 20. Dezember 2024 einigten sich VW-Betriebsrat und Management auf ein Sparprogramm, das unter anderem den Abbau von 35 000 Stellen bis 2030 vorsieht – größtenteils in »zu teuren« Fabriken in Deutschland. Die Golf-Produktion soll komplett nach Mexiko gehen. Auch bei den Zulieferern verschärft sich der Stellenabbau und erreicht die Anlagenhersteller (Kuka Augsburg).

Mercedes will den Produktionsanteil in Niedriglohnländern von 15 auf 30 Prozent verdoppeln – im ungarischen Kecskemét seien die Kosten um 70 Prozent niedriger. 2023 kostete die Arbeitsstunde in Ungarn 12,80 Euro, in der deutschen Industrie 41,80. Die Körperschaftssteuer ist mit neun Prozent so niedrig wie nirgendwo sonst in der EU. Zusätzlich subventioniert Orbán Audi, BMW und Volkswagen mit hunderten Millionen Euro. Gegen Arbeitskräfteknappheit und steigende Löhne holt das Land Menschen aus Kasachstan und der Mongolei.

Mit der »Verlagerungs-Strategie« der letzten Jahrzehnte kam es zu einem Stillstand bei Innovationen. Deutsche Autokonzerne liefern keine Technologie mehr, sondern müssen über neue Partnerschaften mit chinesischen Unternehmen Batterie-Knowhow einholen. Zur massiven Konkurrenz durch chinesische Autokonzerne kommen nun noch neue Zölle und weitere Handelsbarrieren. Als Absatzmarkt taugt das auf Export getrimmte Deutschland immer weniger – minus 27 Prozent bei Elektroautos 2024. Selbst im kleineren Großbritannien wurden letztes Jahr mehr Elektroautos verkauft. Dabei ist Deutschland das zweitgrößte Elektroauto-Produktionsland nach China.

Auch Teslas »Innovationen« stellen sich mehr und mehr als »Visionen« Musks oder sogar als Schwindel heraus. Nach jedem Scheitern verkündet er ein neues Projekt, damit die Aktienblase nicht platzt. Das ging 20 Jahre gut. Jetzt versucht er die rapide einbrechenden Verkaufszahlen und das absehbare wirtschaftliche Scheitern mit einem politischen Putsch aufzuhalten. Die US-Regierung hat eine erste Klage gegen SpaceX fallen gelassen. Weitere Untersuchungen der US-Börsenaufsicht und des Justizministeriums gegen Musks Firmen sollen durch den Schock der Massenentlassungen in den Behörden verhindert werden. Aber die »zu strengen Regulierungen«, gegen die er kämpft, gibt es in Wirklichkeit oft gar nicht (zum Beispiel beim vollautonomen Fahren in den USA).

Bedrohlich für Tesla (und andere) könnte sein, dass der chinesische Autokonzern BYD seine Assistenzsysteme nun serienmäßig anbieten will. Was bei Tesla mehrere tausend Dollar Aufpreis kostet, ist beim 9500 Dollar teuren Seagull dann Serie. Wenn BYDs Schritt die Konkurrenten dazu zwingt, die Softwarepreise zu senken – oder die kostenpflichtigen Abo-Modelle ganz aufzugeben –, löst sich die Vision der Branche, hohe Profite durch KI-Assistenzsysteme abzugreifen, in Luft auf.

Der Widerstand gegen Musk ist erst am Anfang. Es gibt kleinere Proteste außerhalb des Maschinenraums. Unter dem Slogan »Tesla Takedown« rufen Bürger vor Verkaufsräumen in den US-Großstädten zum Boykott auf. Angesichts des institutionellen Putschs durch Trump/Musk und des massiven Stellenabbaus in der gesamten Autobranche wären Massenstreiks in Tesla-, Volkswagen- und Mercedes-Fabriken angebracht. Aber durch die enorme Schlagzahl der Unternehmer – in Deutschland, aber vor allem in den USA – sind viele Arbeiter in Schockstarre verfallen. Ein kurzer wilder Streik afrikanischer Lastwagenfahrer in Deutschland Ende Januar/Anfang Februar war ein kleiner Lichtblick (geladen hatten sie unter anderem Teile für die Autoindustrie) – aber er zeigt, dass sich nach Gräfenhausen und Lieferkettengesetz nichts geändert hat!

Bei der chinesischen Konkurrenz sieht es klassenpolitisch nicht besser aus: sklavenähnliche Bedingungen und Menschenrechtsverletzungen. Zuletzt bei der serbischen Fabrik des chinesischen Reifenkonzerns Linglong (die VW beliefert) und beim Umbau einer von BYD gekauften ehemaligen Ford-Fabrik in Brasilien.

Auch Anfang 2024 erschien die Situation nach einem streikfreudigen 2023 ähnlich düster wie heute. Dann fanden aber in Deutschland im ersten Halbjahr 2024 mehr Arbeitskämpfe statt als in den Jahren zuvor; mit 171 Konflikten gab es eine neue Höchstzahl seit 2016. Zudem dauerten sie länger und wurden härter geführt. Neben Lohnerhöhungen, Tarifverträgen und gleichen Löhnen forderten Arbeiter vermehrt Arbeitszeitverkürzung.

Im zweiten Halbjahr 2024 begannen die massiven Angriffe der Autobosse. Vor diesem Hintergrund haben wir in der Wildcat 114 folgenden Artikel veröffentlicht. Redaktionsschluss war am 7. Dezember 2024.

aus: Wildcat 114, Winter 2024

Auto und andere Krisen

Die »grüne Transformation« scheitert und die Elektroautoverkäufe sind so niedrig, dass die neuen Autofabriken Verlust bringen. Laut Koalitionsvertrag der Ampel-Regierung sollten bis 2030 15 Millionen Elektroautos auf den Straßen sein. Dafür müsste ihr Anteil an den Neuzulassungen ab sofort von 15 auf 50 Prozent steigen – er sinkt jedoch. Neue »grüne Jobs« in der Industrie werden eher weniger als mehr. »Grüne« Start-Ups gehen pleite. Das Leuchtturmprojekt der europäischen Batterieindustrie Northvolt hat Insolvenz beantragt. Man kriegt die chinesischen Maschinen in der schwedischen Vorzeigefabrik nicht zum Laufen.

Bei allen Autokonzernen Europas und ihren Zulieferern verging im Herbst 2024 kaum eine Woche ohne neue Ankündigungen von Stellenabbau. Bosch, Schaeffler, ZF, Magna, Continental und Thyssenkrupp streichen mehrere Zehntausende Jobs und schließen Standorte. Die Autoproduktion in Italien bricht zusammen, Ford schließt die Fabrik in Saarlouis und kündigt in Köln, in der österreichischen Zulieferindustrie steigt die Arbeitslosigkeit massiv. Beim (zweit-)größten Autokonzern der Welt Volkswagen überrollt das Management die Beschäftigten mit Hiobsbotschaften: Im Juli gaben sie bekannt, das Audi-Werk in Brüssel zu schließen (nachdem Audi im März für fast 700 Millionen Euro das Formel 1 Team von Sauber gekauft hatte!). Im September kündigten sie den 1994 eingeführten »Beschäftigungssicherungsvertrag« auf. Somit wären ab Juli 2025 betriebsbedingte Kündigungen möglich. Die Manager fordern Lohnkürzungen von zehn Prozent und wollen weitere drei Fabriken schließen – diesmal in Deutschland, wo VW 120 000 Leute beschäftigt.

Wie bei den Hafenarbeiterkämpfen flankieren die Medien den Unternehmerangriff mit Berichten über zu gut bezahlte Arbeiter und den üblichen Verweisen: wird Wolfsburg das neue Detroit? Schwaben das neue Ruhrgebiet? Die Unternehmer nutzen das Tamtam, um auch noch das Lieferkettengesetz zu torpedieren. Sie geben die Richtung vor – und tun so, als ob es nach den Schließungen und Lohnsenkungen wieder so weitergehen würde wie bisher, nur mit weniger Arbeitern.

Betriebsräte und IG Metall haben kein alternatives Konzept und halten sich an die Spielregeln: Sie schlagen Kostensenkungen von 1,5 Milliarden Euro mit Lohnzurückhaltung, Arbeitszeitflexibilisierung und gezielten Stellenabbau vor. Sie geben sich auf Kundgebungen verbalradikal und organisieren dafür auch noch Warnstreiks (zwei Stunden pro Schicht am 2. Dezember mit 100 000 Beteiligten, vier Stunden sind für den 9. Dezember geplant). Das Betriebsratsgefasel von der »Volkswagen-Familie« ist total peinlich. Die IG Metall kann nicht mehr die Rolle des Modernisierers wie in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts spielen, weil es perspektivisch kein Wachstum mehr gibt. Den Autoabsatz ankurbeln bei Lohnverzicht würde nur funktionieren, wenn »die Konsumenten« Kredite aufnehmen und sich stärker verschulden (wie in den USA). Auf den chinesischen Markt ausweichen, funktioniert auch nicht mehr – im Gegenteil!

Es stellen sich die gleichen systemischen Fragen wie bei anderen Branchen – welche Produkte sind gesellschaftlich wünschenswert? Wie viele? Wer macht die Arbeit? Wer entscheidet über Investitionen? Mit dem Unterschied, dass es sich bei der Autoindustrie um die kapitalistische Schlüsselbranche handelt. Wertschöpfung, die Integration völlig verschiedener Prozesse und Arbeiter sowie die Bedeutung für andere Branchen sind stärker als woanders.1 Die Autoindustrie verbindet Bergbau und Hüttenindustrie (Eisen, Stahl, Alu usw.) mit Anlagen- und Werkzeugbau, Chemie, Elektronik und Transport. Zählt man Straßenbau, Service usw. dazu, dann hängen von keiner Branche mehr ­Arbeitsplätze ab.

Kostensenkung statt Konversion

Wo Autofabriken gebaut wurden, begann eine neue Stufe der Industrialisierung und Proletarisierung – und in der Folge haben die Autoarbeiterkämpfe das Kapital zur Entwicklung gezwungen: Löhne erhöhen, Leute einstellen, automatisieren. Viele Dinge kommen uns bis heute zu gute: Belegschaftsvertretungen, Tarifverträge, Sicherheits- und Sauberkeitsstandards am Arbeitsplatz usw. Aber seit den beiden »Ölkrisen« 1973 und 1979 antworteten die Unternehmer nicht mehr mit »Entwicklung«, sondern mit Globalisierung und Zersplitterung der Produktion. Dabei haben sie zunächst dreifach gewonnen: niedrigere Löhne in neu industrialisierten Gegenden, mehr Fahrzeugproduktion durch mehr notwendigen Verkehr und weniger Streiks durch kleinere Belegschaften. Der Preis dafür war eine gewaltig zunehmende Umweltverschmutzung ­sowie sehr komplexe globale Produktions- und ­Lieferketten. Multis wie VW mit über 100 Fabriken und 600 000 Beschäftigten weltweit sind entstanden, und dazu Tausende Zulieferer mit Millionen weiteren Arbeitern. VW muss jährlich zehn Millionen Autos produzieren, um das gewachsene fixe Kapital zu unterhalten und den gewünschten Profit zu erzielen.

Der u. a. von VW finanzierte »Club of Rome« hatte 1972 eine ökologische Kritik an der Massenmotorisierung formuliert – nur war sie gegen die Kämpfe der Arbeiter gerichtet. VW tat selber was ganz anderes: expandieren. Als erster westlicher Hersteller investierte VW in den 1970ern in China, als erster ausländischer Autohersteller eröffnete VW in den USA eine Fabrik (siehe »Der Kampf der UAW um die Südstaaten« auf S. 24). Aber schon 1975 war VW in einer Krise, das Personal sollte von 138 000 auf 113 000 reduziert werden. Das meiste lief über Abfindungen, ein paar kleinere Abteilungen wurden geschlossen.2

Damals gab es die ersten Pläne – geboren aus drohenden Fabrikschließungen –, die Produktion hin zu »sozial nützlichen Produkten« umzubauen (berühmt der »Lucas-Plan« 1976 in England; über »Konversion« wurde vor allem nach dem Ersten und Zweiten Weltkrieg sowie nach dem Ende der Blockkonfrontation zwischen NATO und Warschauer Pakt diskutiert).

Eine letzte Haltelinie gegen die Todeskrise der Autoindustrie kam von sozialdemokratischen Managern. Sie versuchten, Ökologie, technologische Entwicklung und Profite unter einen Hut zu bringen und die Arbeiter dabei »mitzunehmen«. Zum Beispiel propagierte Edzard Reuter, Vorstandsvorsitzender der Daimler-Benz AG von 1987-95, eine »offene Unternehmenskultur«, die sich »gegenüber den Kapitalgebern, der Belegschaft und der Umwelt gleichrangig verantwortlich fühlen und danach handeln« müsse. Er wollte aus Daimler einen »integrierten Technologiekonzern« machen. Ähnlich befürwortete Daniel Goeudevert, ein französischer Automanager und Mitglied des »Club of Rome«, der von 1991-93 bei VW im Vorstand saß und verantwortlich für den Einkauf war, den Ausbau des öffentlichen Personennahverkehrs und die Entwicklung umweltfreundlicher Autos.

Sowohl Reuter als auch Goeudevert scheiterten. Mit dem »Ende der Geschichte« kam es in der Absatzkrise der 90er zu einem 180-Grad-Strategiewechsel. Bei Mercedes setzte Reuters Nachfolger Jürgen Schrempp die »Lean Production« durch. Bei VW führte Ignacio López, ein bis heute berüchtigtes Vorbild für alle »Kostenkiller«-Manager, Anfang der 90er entsprechende Sparprogramme ein. Zuvor hatte er mit seinen Kostensenkungsstrategien Opels Qualität und Ruf ruiniert; nun drückte er bei VW-Lieferanten kontinuierlich sinkende Einkaufspreise durch. Das brachte systematische Qualitätsmängel, heute in der Branche bekannt als ­»López-Effekt«.

VW führte die 28,8-Stunden-Woche ein – 1994, als die Krise schon vorbei war. Die IG Metall stimmte einer Lohnkürzung und einer massiven Arbeitsintensivierung zu. Im Ergebnis mussten weniger Arbeiter mehr Autos in kürzerer Zeit bauen. Zusammen mit VW und dem Land Niedersachsen hat die IG Metall eine eigene Leiharbeitsfirma gegründet (GIZ), Urlaub gestrichen usw. Das war die Grundlage des »Beschäftigungssicherungsvertrags«, der 30 Jahre halten sollte. Volkswagen baute mit den Übernahmen von Seat in Spanien 1988 und Škoda in Tschechien 1991 sowie mit der Fabrik in Bratislava 1994 ein ausländisches Produktionsnetzwerk als Drohpotenzial gegen Arbeiter in Deutschland auf (Bentley und Lamborghini kamen 1998 dazu, später MAN, Scania, Ducati und Bugatti).

Grüner Kapitalismus?

Zur Unterstützung der Autoabsätze führte die EU ab 1992 Abgasnormen ein. Etwa alle vier Jahre treten strengere Emissionsregeln in kraft. Die Autobauer sollten nach und nach sauberere Motoren bauen; die Konsumenten sollten durch Fahrverbote für ihre alten Autos dazu gebracht werden, schneller neue zu kaufen. Dies stabilisierte die Absätze, die Neuwagenverkäufe stiegen jedes Jahr um ein paar hunderttausend Pkw (EU-15 Verkäufe 1993: 10,9 Millionen; 2003: 13,8). Die alten »Dreckschleudern« werden seitdem nicht mehr fachgerecht entsorgt. Sie werden nach Osteuropa und Afrika exportiert, wo sie Städte verpesten und die Zahl der Verkehrstoten erhöhen.3

Der nächste Unternehmerangriff kam zur Jahrtausendwende, wieder bei VW. Der damalige Personalchef, Sozialdemokrat und IGM-Mitglied Peter Hartz gründete Tochterfirmen, die ArbeiterInnen zu schlechteren Tarifen einstellten. Hartz führte den Begriff des »atmenden Unternehmens« ein, das Arbeiter bei guter Auftragslage »einatmet« und bei schlechter »ausatmet«. Zusammen mit der Unternehmensberatung McKinsey wurde die VW-eigene Leiharbeitsfirma AutoVision geschaffen, später Auto 5000, eine weitere Tochterfirma, für deren Arbeiter der schlechtere Haustarifvertrag II galt. Für VW-Stammarbeiter galten die Neuen als »Billigkonkurrenz«, zu gemeinsamen Kämpfen gegen diesen Angriff kam es nicht. Stattdessen organisierten Betriebsräte einzelner VW-Werke Workshops zur Steigerung der Produktivität des eigenen Standorts, um Investitionen zu erheischen und die Standorte ihrer Kollegen auszustechen.

Mit der Einführung des Euro ab 2002 wurde die Konkurrenz unter den Arbeitern, die zwischen West- und Osteuropa und betriebsintern schon entwickelt war, weiter verstärkt. Denn weniger produktive Länder konnten dem Druck nicht mehr durch Währungsabwertungen ausweichen – so konnten die niedrigen deutschen Lohnstückkosten sukzessive ihre Wirkung entfalten und das »Exportmodell Deutschland« blühte auf. Dazu musste die Industrie auf niedrige Löhne zugreifen können. Wieder kam Peter Hartz ins Spiel: 2004 wurde Hartz-IV eingeführt – eine tiefgreifende Reform, die den Arbeitszwang verstärkte und die Armut erhöhte. Das schuf »einen der modernsten Niedriglohnsektore« in Europa, wie sein Freund und Auftraggeber Gerhard Schröder zufrieden feststellte.

2005 musste Hartz zurücktreten, als rauskam, dass er die korrupten VW-Betriebsräte auf Firmenkosten ins Puff und auf Luxusreisen geschickt hatte. Die allgemeine Entwicklung konnte aber weder dadurch noch durch den Opel-Streik 2004 aufgehalten werden: 2006 wurde mit einem neuen Tarifvertrag die Arbeitszeit bei VW und in weiterer Folge in der Metallindustrie flexibilisiert – als wichtigste Maßnahme entpuppte sich die Erhöhung der zulässigen Stunden auf dem Jahres-Arbeitszeitkonto auf plus/minus 400 Stunden. So konnten im Kriseneinbruch 2009 Massenentlassungen verhindert werden, die Kurzarbeit besorgte den Rest – am Ende durchtauchten die deutschen Automultis die globale Krise ohne Streiks. 2009 gab es nur zwei öffentlich wahrnehmbare Konflikte: Ein Hungerstreik von VW-Leiharbeitern gegen ihre Kündigung und ein kurzer wilder Streik von Daimler-Arbeitern gegen die Verlagerung eines Modells.

Zudem wurde die Autoindustrie mit staatlichen Abwrackprämien unterstützt. Kapitalberater forderten ein »Gesundschrumpfen« mit Werkschließungen, um Überkapazitäten abzubauen und die Profitraten zu erhöhen. Linke wollten eine neue »Konversions«-Diskussion führen, wie man das zerstörerische System Auto überwinden könnte. Die Stammbelegschaften von VW und anderen Multis hatten nichts zu befürchten und kämpften weder gegen das eine, noch kümmerten sie sich groß um das andere. Durch einen gewaltigen Exportboom nach China blieb scheinbar alles beim Alten – »Gesundschrumpfen« oder »Konversion« wurde vertagt.

China!

Von 2012 bis 2017 stieg die EU-Autoproduktion von 12,7 auf 15 Millionen pro Jahr, die Beschäftigung in der deutschen Autoindustrie von 742 000 auf 834 000. In China kauften Reiche, Politiker und Teile der Taxibranche die teuren deutschen Autos. Der »Dieselskandal« ab 2015 (in dem nicht nur VW drinsteckte) hatte keinen großen Einfluss auf die operativen Gewinne, hat aber einem neuen kriminellen Unternehmer zum Erfolg verholfen: Elon Musk, der mit Tesla sein anti-gewerkschaftliches Massenproduktionsregime »grün« anstrich.

Teilweise arbeiteten in deutschen Autofabriken ein Drittel Leiharbeiter. Drei Viertel der Autoarbeit übernahmen Zulieferer, die weniger bezahlten – und ihrerseits wieder auslagerten. Die Arbeitskosten in den neuen (Zuliefer-)Fabriken von Polen über die Ukraine, Serbien bis nach Nordafrika blieben – trotz einiger bemerkenswerter Streiks4 – niedrig im Vergleich zum deutschen Niveau. Dazu kamen moderate Tariflohnerhöhungen. Das waren die Fundamente des erfolgreichen Exportbooms – und nicht etwa Innovation, überlegene Technik oder dergleichen.

Ab 2019 begannen Absätze und Beschäftigtenzahlen zu sinken (außer die von Tesla). 2020 brachte die Pandemie einen kurzen Einbruch, aber die Konzerne ließen sich die Löhne erneut durch Kurzarbeitergeld bezahlen, erhöhten die Neuwagenpreise – und fuhren Rekordprofite ein; die Profitraten der Autobauer erreichten 2023 mit durchschnittlich 8,6 Prozent nach 2022 den nächsten Rekord. Die 16 größten Autokonzerne streichen pro Jahr mehr als 150 Milliarden Euro Gewinn ein. Mercedes, BMW und VW machten jedes Jahr mehrere Milliarden Euro Plus. Statt Reuters Ideen einer Einbeziehung von »Beschäftigten und der Umwelt« schmierten die Manager die obere Arbeiterschicht mit Geld. Immer wieder gab es mehrere tausend Euro hohe Erfolgsprämien für die deutschen Festangestellten. Den Aktionären zahlten sie hohe Dividenden aus, sich selber das 200fache eines Facharbeiterlohns.

Einen Großteil der Kostensenkungsmaßnahmen wälzten die Multis auf die Zulieferer ab, indem sie die López-Methode standardisierten: Abnahmegarantien nur noch gegen jährliche Kostenreduktion. Die Zulieferer, die groß genug waren, um nicht pleite zu gehen, bauten deswegen Stellen ab. Die fast 100 000 Jobs, die seit 2019 in der deutschen Autoindustrie abgebaut wurden, gehen auf Zulieferer zurück (ein Großteil der Stellen bei Opel wurde vor 2019 abgebaut).

Einige Arbeiter, die unter Kostensenkungsmaßnahmen leiden, konnten mit »AfD wählen« Aufmerksamkeit auf sich ziehen.5

Die Krise …

Wegen »China« konnte Deutschland von 2000 bis 2016 seine absolute Fahrzeugproduktion leicht steigern (relativ – als Anteil an der weltweiten Produktion – sank sie bereits). Das sorgte für ein bisschen Wirtschaftswachstum. Das selbe gilt für Spanien und osteuropäische Länder. In Frankreich, Italien und England dagegen ging die Fahrzeugproduktion im selben Zeitraum um jeweils mehr als die Hälfte zurück.6

Globale Autoverkäufe und -produktion stagnieren seit 2017. Seitdem sinkt auch die Produktion in Deutschland; mit vier Millionen Autos wurden 2023 fast zwei Millionen weniger produziert als 2016. Die »grüne Transformation« mit dem Mix aus Subventionsmilliarden für Elektroautos und Verboten von Verbrennerautos hätte die Absätze und damit die Produktion wieder ankurbeln sollen – aber im Gegensatz zur Einführung der EU-Abgasnormen in den 90ern ging das Projekt Elektroauto komplett schief. Die Ladeinfrastruktur fehlt, die Reichweite ist bisher begrenzt (und geht im Winter noch weiter zurück, wenn man heizt), unverstandene Chemie statt logischer Mechanik, höheres Gewicht und stärkerer Reifenabrieb (Feinstaub!), noch größere Abhängigkeit von Software. Zudem sind die Autos aus deutscher Produktion viel zu teuer. Die Förderungen für Industrieansiedlungen in den USA sind höher, Energiekosten niedriger. Und vor allem: Die Konkurrenz aus China ist besser.

Von Februar 2023 bis Februar 2024 fiel die Industrieproduktion in der Eurozone um 6,4 Prozent, in der EU um 5,4 Prozent. Das deutsche BIP schrumpft, die Wachstumsraten kommen schwer über 0,1 Prozent. Der Fahrzeugbau ging von Januar bis September 2024 im Vergleich zum Vorjahreszeitraum um 6,9 Prozent zurück. Das zieht Maschinenbau (minus 8,5) und Elektroindustrie (minus 10,7 Prozent) mit runter. Die Investitionen in neue Maschinen gehen zurück, ausländische Investitionen sind auf einem Rekordtief, Industriebetriebe bauen tausende Beschäftigte ab. Die steigende Rüstungsproduktion kann das nicht annähernd kompensieren. Der Anteil der Industrie am BIP geht zurück.

China hat sich vom Retter der deutschen (Auto-)Industrie zu ihrem potentiellen Totengräber gewandelt: Chinesische Konzerne haben neben niedrigeren Arbeitskosten auch einen mehrjährigen technologischen Vorsprung in der Herstellung von Elektroautos. Sie dominieren nicht nur die Batterieproduktion und den Anlagenbau7, ihnen kommt auch die »Smartphonisierung des Autos« entgegen. Und genauso wie japanische Autokonzerne gehen sie nicht mehr auf Vollautomatisierung; der Anteil der Personalkosten in chinesischen Autofabriken liegt bei 15 Prozent, in Deutschland bei zehn. Sie setzen auf Ingenieure statt auf Finanzhonks und auf kreative Ideen der Kollegen zur Prozessoptimierung. Sie haben verstanden, dass Innovationen von Arbeitern kommen, nicht von Maschinen. Dauerqualifizierung unter dem Slogan »lebenslanges Lernen« läuft auf ewige Mitarbeiterbelästigung raus. Chinesische Kapitalisten tun das, was sie seit Jahrzehnten getan haben: sie kopieren und radikalisieren bestehende Produktionsmethoden – unwahrscheinlich, dass sie den »López-Effekt« nicht kennen – trotzdem verkündete BYD am 27. November, dass es von seinen Zulieferern zehn Prozent Kostensenkung für 2025 erwartet, um im Preiskampf auf dem chinesischen Markt zu bestehen. Denn auch dort stagnieren die Absätze, die Hersteller müssen den Kuchen unter sich aufteilen. Viele chinesische Marken werden pleite gehen. Den deutschen Herstellern bricht der chinesische Markt weg. Ebenfalls am 27. November gab VW bekannt, seine Zwangsarbeiterbude in Xinjiang zu schließen.

Der Zustand der Autoindustrie ist eines der sichtbarsten Elemente einer allgemeinen Krise der Industrie und Ausdruck der Überakkumulation. Dem hypnotisierten Blick auf sinkende Verkäufe und der Hoffnung auf »grüne« Produkte entgeht das. Wir erleben die Implosion der Kostensenkungsstrategien, des Management-by-stress und einer auf Aktienkurse fixierten Unternehmenskultur. Die vielen teuren Anlagen – egal wie stark digitalisiert, künstlich intelligent und vernetzt – steigern nicht die Produktivität und funktionieren nicht für Kleinserien-Luxusproduktion. Die Unternehmer versuchen wie immer die Krise zu nutzen, um das Verhältnis zwischen notwendiger und Mehrarbeit zu ihren Gunsten wiederherzustellen. Die Form, in der das in Deutschland passiert, ist die »Deindustrialisierung«. Gut bezahlte Industriearbeitsplätze werden abgebaut und in Ländern mit niedrigeren Kosten in neuen Fabriken aufgebaut: VW will in Nordamerika investieren, BASF hat ein zweites Ludwigshafen in China gebaut. 2024 wird die Chemieproduktion das dritte Jahr in Folge gesunken sein und ein Fünftel niedriger als vor der Pandemie liegen.

Speziell Deutschland und seine mitteleuropäischen Zulieferstaaten befinden sich in einer massiven Industriekrise. Das deutsche Exportmodell, das lange für Wachstum und einen höheren Lebensstandard als woanders gesorgt hat, ist am Ende. Wir sind mitten drin im lange hinausgezögerten Angriff auf die Kernbelegschaften. Die Deindustrialisierung soll sie zermürben, das Krisengepolter alle schocken und den Weg frei machen für ein neues Arbeitsregime. VW hat neben dem »Beschäftigungssicherungsvertrag« auch andere Tarifverträge gekündigt: für eine bessere Bezahlung der Leiharbeiter und einen zur Übernahme von Auszubildenden. Eine Vereinbarung zur Mitbestimmung des Betriebsrats bei übertariflichen Regelungen steht zur Kündigung an. Wie in den 90er und Nullerjahren spielt das Management Alte gegen Junge, Büro gegen Fließband und Standorte gegeneinander aus.

… ist eine Chance

Im dritten Quartal 2024 gaben VW, Mercedes und BMW zusammen 8,7 Milliarden Euro für Forschung und Entwicklung aus – und konnten trotzdem einen operativen Gewinn von 7,1 Milliarden verbuchen. Der Dieselskandal wird Volkswagen geschätzte 32 Milliarden Euro gekostet haben. Mit mehr als 150 Milliarden Euro Schulden gehört VW zu den drei am höchsten verschuldeten Unternehmen der Welt. Trotzdem weist die VW-Bilanz 2023 einen Nettogewinn von über 16 Milliarden Euro aus. Davon wurden 4,5 Milliarden ausgeschüttet, fast die Hälfte davon an den Porsche-Piëch-Clan. Wer nicht nur die VW-Pressemitteilungen liest, sondern die Bilanzen, findet »keine weitere Munition für das Argument des Managements, dass historische Kostensenkungen und Opfer von der Belegschaft in Deutschland gebracht werden müssen« (Bernstein Research). Die Unternehmer müssen keine Verluste vermeiden, sie wollen höhere Gewinne!8

In einer Situation von Betriebsschließungen scheint die Arbeitermacht erst mal weg. Betriebsräte und Klimaaktivisten schlagen Selbstverwaltung und »sinnvolle Produktion« vor, zum Beispiel Straßenbahnen, Züge, Busse, Fahrräder. Viele sehen in der Mobilisierung bei GKN in Italien ein Vorbild, junge Leute diskutieren über die Vereinbarkeit von Ökologie und Produktion. Auch in Norddeutschland schmeißen sich Aktivisten auf Tesla und VW, manche treffen existenzielle Entscheidungen (Aktivisten zogen nach Wolfsburg und propagierten die VerkehrsWende: VW soll Öffis bauen; der erste Anlauf ist jedoch gescheitert). Die Diskussion unter linken Aktivisten ist auf dem Stand, dass die industriellen Kapazitäten – Anlagen und Arbeiter – gesellschaftlich gebraucht werden.9 Aber selbstverwaltete Betriebe kamen bisher schnell unter die Räder der Konkurrenz. Außerdem gibt es auch in Zug-, Bus- und Fahrradfabriken Überkapazitäten. Andere propagieren den Kampf für maximale Abfindungen – soll die Bude doch zumachen und der Unternehmer wenigstens teuer bezahlen. Deindustrialisierung und ein »Strukturwandel« hin zu einer »Dienstleistungsgesellschaft« bedeuten niedrigere und weiter gespreizte Löhne. Ohne Industrie verarmt das Proletariat, siehe USA, Italien etc. Daher hat es schon einige Bedeutung, ob die (VW-)Kernbelegschaften ihren Vertretern weiterhin nur zuschauen beim Assistieren der kapitalistischen Hornochsen, oder ob sie ihre Schockstarre überwinden.

Am 30. November kam raus, dass Audi ein Drittel seiner Formel 1 Anteile an die Qatar Investment Authoritiy verkauft hat.

Am 2. Dezember wurde der in der Tradition von López stehende langjährige Citroën-, Fiat-, Opel-Sanierer und Stellantis-Chef Carlos Tavares schneller abgesetzt als geplant. Zu unser aller Überraschung stellten sich seine Kostenkillerprogramme als »nicht zukunftsfähig« heraus.

Am 5. Dezember brachte die konservative EVP-Fraktion des Europäischen Parlaments ein Positionspapier heraus, in dem sie vorschlägt, das Verbrenner-Aus rückgängig zu machen und neue CO2-Flottengrenzwerte zu verschieben. Müssten die Automultis Strafen zahlen, weil sie die Grenzwerte nicht einhalten, sollte das Geld nicht in den EU-Haushalt fließen, sondern zurück in die Auto­industrie. Genial!

Fußnoten

[1] »Die Bruttowertschöpfung eines Jobs in der Autoindustrie ist 2,5-mal so hoch wie bei einem durchschnittlichen Job. Selbst wenn jeder Mensch, der einen Job in der Autobranche verliert, sofort einen neuen und durchschnittlichen Job findet, verlieren wir schon sechs Prozent an Wohlstand.« (Sebastian Dullien) »Die Bruttowertschöpfung ist die Differenz aus dem Gesamtwert der erzeugten Waren und Dienstleistungen und dem Wert der Vorleistungen, also die im Rahmen der Produktion angefallenen Kosten.«
Kathrin Werner: Deutschland ohne Auto­industrie – wie groß wäre der Schaden? Süddeutsche 12.11.2024.

[2] Christian Müßgens: Volkswagens Urkrise, FAZ 23.11.2024.

[4] Im Dossier »Auto« auf unserer Website findet ihr »Autoartikel« zu jeder Phase, zu jedem Streik usw.

[3] Haiko Prengel: Ab nach Afrika, Süddeutsche 8.3.2021.

[5] »In Thüringen erhielt die AfD 49 Prozent der Arbeiterstimmen, in Brandenburg 46 Prozent und in Sachsen waren es 45 Prozent der Arbeiterinnen und Arbeiter. Der Einfluss der extremen Rechten reicht offenkundig bis tief in die Gewerkschaften hinein. Laut Konrad-Adenauer-Stiftung wählten in Thüringen 42 Prozent der gewerkschaftlich organisierten Arbeiterinnen und Arbeiter AfD, bei gewerkschaftlich organisierten Angestellten waren es 30 Prozent.« Klaus Dörre: Die verlorene Ehre der Arbeiter, bpb.de 20.11.2024

[6] Umfassende Daten bietet ein IW-Report vom 22.9.2024: Thomas Puls: Die Automobilindustrie im Jahr 2024, IW-Report 38/2024

[7] Siehe Wildcat 113: Welche Energiewende? Das Elektroauto und die Rückkehr des Bergbaus, Spätsommer 2024

[8] Dazu siehe:Stephan Krull: Autoindus­trie: Abstiegsängste und Abwehrkämpfe, Z 140, 24.11.2024.
ders: Autoindustrie – Abbau oder Umbau?, nd, 6.12.2024.
Suitbert Cechura: Konzept für Entlassungen, Junge Welt 5.12.2024.

[9] Jürgen Bönig: Nachhaltig zerstören – geht die Automobilindustrie den Weg der Druckmaschinenhersteller? Lunapark 21, Winter 2024
1961 hat Raniero Panzieri herausgearbeitet, dass es keine technologische Kontinuität nach der Revolution geben kann, weil in den Produktivkräften die kapitalistischen Produktionsverhältnisse drinstecken. Siehe »Über die kapitalistische Anwendung der Maschinerie«

 
 
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