Sofortige Festeinstellung von Praktikantinnen und Leiharbeitern!
Zum Kampf der Prekären in den Call Centern des spanischen Multis Telefónica in Buenos Aires (siehe Artikel in Wildcat 66).
Interview mit Mariana, Call Center-Agentin und -Aktivistin, Buenos Aires, März 2003
Asamblea de Pasantes de Telefónica
In den Call Centern der Telefónica in Buenos Aires, die auf fünf verschiedene Gebäude verteilt sind, arbeiten etwa tausend Studi-JobberInnen als sogenannte PraktikantInnen. Die Arbeit an den Telefonen wird fast nur von Prekären erledigt: von den 'PraktikantInnen' und von LeiharbeiterInnen, die für drei bis sechs Monate angeheuert werden. Im Dezember 2001 führen sie ihre erste größere Aktion für Festeinstellungen durch. Fünf Tage lang halten sie eines der Call Center besetzt.
Mariana berichtet über den letzten Kampfzyklus bei der Telefónica, von November 2002 bis Februar 2003.
Letztes Jahr wollte die Firma Leute entlassen. Das war aber nicht so einfach, weil die Firma allgemein verhasst ist. Gegen die Telefónica machten die asambleas (Stadtteilversammlungen) ständig irgendwo escraches (Protestaktionen). Deshalb hat die Firma angefangen, sehr nachdrücklich das freiwillige Ausscheiden anzubieten. PraktikantInnen, die seit mehr als drei Jahren da arbeiteten, sollten 3000 pesos (etwa 1000 US$) bekommen. Sie haben uns gesagt, dass es nächstes Jahr schlechter aussehen würde, dann würden wir gar keine Abfindung mehr bekommen.
Angesichts dieser Kampagne für Abfindungen tauchte die Gewerkschaft auf. Sie erklärte, dass das verkappte Kündigungen wären, und dass sie diese Entlassungspolitik nicht weiter zulassen würde. Sie machte in allen Gebäuden Versammlungen. Bei uns arbeiten in der Frühschicht 300 Leute. Es gab dann eine Versammlung im Hof mit 300 Leuten, die die Gewerkschaft einberufen hatte.
Eine gewerkschaftliche Kampagne läuft aus dem Ruder
Wir hatten angefangen, uns von unten her zu organisieren. Bevor die Gewerkschaft auftauchte, hat sich das aber noch nicht sehr verbreitet. Die Gewerkschaft wollte einerseits etwas einzudämmen, was von unten am Entstehen war, um das in ihre Kanäle zu leiten, aber andererseits ist ihnen das aus dem Ruder gelaufen. Sie wollten mit diesen grossen Versammlungen das freiwillige Ausscheiden stoppen und Druck machen für die Verhandlungen mit der Firma über den Tarifvertrag, der aber nur die Festangestellten betrifft. Sie wollten den Konflikt um die PraktikantInnen dafür benutzen. Wir sind aber darauf angesprungen und haben angefangen, in den Versammlungen weitergehende Forderungen zu stellen. Es ging nicht mehr nur um die Abfindungen, sondern wir haben Festeinstellung gefordert und angefangen, über einen Aktionsplan zu diskutieren. Das ging über das hinaus, was die Gewerkschaft wollte. Weil die Gewerkschaft unsere Organisation nicht anerkannt hat und uns nicht beteiligen wollte, haben wir - PraktikantInnen und LeiharbeiterInnen - Treffen und Aktionen außerhalb der Arbeit gemacht. Die Parole war: Festeinstellung für alle.
... und wird für eigene Aktionen und Organisierung benutzt.
Wir haben uns organisiert, indem wir in jeder Gruppe Delegierte gewählt haben, denn wir sind nach 'Inseln' unterteilt. Die Delegierten wurden in Versammlungen gewählt. Jede 'Insel' hatte ihre Delegierte, und in den ersten beiden Gebäuden, in denen wir uns organisiert haben, entstand so eine Gruppe von 50 Delegierten. Wir haben mit dieser Gruppe Treffen abgehalten, die natürlich für alle offen waren. Daran haben sich ziemlich viele Leute beteiligt. Wir haben Aktionen geplant und beschlossen, welche Forderungen wir an die Gewerkschaft stellen: dass sie Treffen organisieren, unsere Forderungen und unseren Aktionsplan unterstützen sollen. Weil sie sich geweigert haben, kam es dann zu eigenen Aktionen, zu Arbeitsniederlegungen, unabhängig von der Gewerkschaft.
In dem Gebäude, wo ich arbeite, haben wir die Gewerkschaft aufgefordert, eine Versammlung einzuberufen, weil wir alle zusammen das weitere Vorgehen diskutieren wollten. Die Gewerkschaft ist nicht aufgetaucht. Daraufhin haben sich die Leute aus den Leitungen ausgeloggt, wir sind alle zusammen in den Hof runtergegangen und haben dort vier Stunden lang eine Versammlung abgehalten. Täglich haben sich Leute ausgeloggt. Das waren faktisch Arbeitsniederlegungen, aber in Form von Versammlungen. Wir haben Demonstrationen organisiert und Aktionen gemeinsam mit den asambleas. Der Höhepunkt der Aktionen war im Dezember 2002.
In anderen Gebäuden haben sich die Leute noch systematischer aus den Leitungen ausgeloggt, die haben das täglich gemacht. Die Firma hat die Namen aller Arbeitsverweigerer aufgeschrieben. Das läuft hier wie auf der Schule. Sie schicken dir Abmahnungen, und nach drei Abmahnungen fliegst du raus. Aber das ist relativ. Ich habe noch keine einzige Abmahnung, bin aber schon drei mal rausgeflogen, und immer wieder zurückgekommen - aber das nur am Rande.
Es gab einen Versuch, uns allen, die wir auf den Hof runtergegangen waren, Abmahnungen zu schicken, aber das war unmöglich, weil wir mehr als 70% der Beschäftigten waren. Das war gut, weil die Leute gesehen haben, dass die Typen nichts machen können, wenn wir das zusammen machen. Wenn wir alle rausgehen, passiert uns nichts. Es gab danach keine einzige Entlassung, noch nicht mal einen Versuch. Das hatte auch damit zu tun, dass die Gewerkschaft da war, mit der sie das direkt regeln konnten.
Die Geschichte ging dann folgendermaßen weiter: Unabhängig davon, was wir in der Versammlung beschlossen hatten, hatte sich die Gewerkschaft schon mit der Firma geeinigt. Die Errungenschaften der Festangestellten, der Gewerkschaftsmitglieder sollten erhalten bleiben, Und für die PraktikantInnen und LeiharbeiterInnen gab es einen Plan für Festeinstellungen, aber ohne konkreten Termin, ohne jegliche Garantie. Wenn die Praktika in einem Jahr, nach insgesamt vier Jahren auslaufen würden, sollte eine Kommission gebildet werden, die das diskutiert. Also nichts Konkretes.
Die Gewerkschaft rief zu einer allgemeinen Versammlung auf, an der wir natürlich wieder nicht teilnehmen sollten - sie haben sich richtig vor der Tür aufgebaut, damit wir nicht reinkommen - und da wurde das Abkommen abgesegnet. Das hat die Geschichte ziemlich zurückgeworfen. Die Leute waren skeptisch, weil wir jetzt allein da standen. So ging diese Geschichte zuende, aber wir Delegierten, die AktivistInnen sind organisiert geblieben, und es gibt viele, die was machen wollen. Wenn was passiert, kann das jederzeit wieder losgehen.
Wir gehen in diesen T-Shirts zur Arbeit. Jetzt nicht mehr so viele, aber während der vier Monate haben wir alle mit diesen T-Shirts gearbeitet. In der Frühschicht sind wir ungefähr 200, und mindestens 120 trugen diese T-Shirts. Jetzt ist es zurückgegangen, aber nach allem, was passiert ist, kann das nicht zuende sein. Wir werden wieder was organisieren können. Wir müssen zeigen, dass das geht. Wir sind noch da. Mal sehen, was weiter passiert.
Wir gehen weiter zu den asambleas, machen den Konflikt bekannt. Die Leute sind auch der Meinung, dass wir den Kampf fortsetzen müssen, aber viele haben Angst, weil sie die Firma für stark halten. Ich glaube nicht, dass sie jetzt Leute entlassen würden, weil sie damit einen Aufstand riskieren.
Auch beim französischen Multi Telecom konnten Entlassungen verhindert werden
Bei der Telecom haben sie es versucht, und die Gewerkschaft musste reagieren. Von Januar bis März gab es bei der Telecom 21 Entlassungen von PraktikantInnen, deren Verträge ausgelaufen waren. Die Gewerkschaft hat sich eingeschaltet und fünf Gebäude besetzt. Zuerst waren das die Gewerkschaftsfunktionäre, dann haben die Leute mitgemacht und es gab große Versammlungen, auch von LeiharbeiterInnen und PraktikantInnen. Die Entlassenen arbeiten jetzt wieder dort. Das konnte durchgesetzt werden, und jetzt gibt es Diskussionen zwischen Arbeitsministerium, Gewerkschaft und Universität - die ist dabei, weil sie die Praktika vermittelt - über die Frage, ob diese Praktika legal sind. Da müssen wir auch Druck machen.
Wir haben nicht so viel Kontakt zu denen von Telecom, weil das eine andere Geschichte war. Bei Telecom hatten sie immer die Unterstützung der Gewerkschaft, und sie haben auch nie Sachen außerhalb gemacht. Einige kommen zu unseren Versammlungen und wollen was zusammen machen. Aber andere sind konservativer, bequemer, die sagen, dass die Gewerkschaft sie verteidigt hat, und weil die Gewerkschaft uns nicht mag, wollen sie mit uns nichts zu tun haben. Als sie die Gebäude besetzt hatten, sind wir dort hingegangen, und die Jungs wollten noch nicht mal mit uns reden. Die Gewerkschaft wollte auch nicht, dass wir bei den Gebäuden der Telecom auftauchen und den Leuten komische Ideen einreden, wie Festeinstellung und all diese Forderungen. Es sollte nur um die paar Entlassungen gehen, nicht um mehr.
PraktikantInnen und Festangestellte
Eine gute Sache bei der Geschichte war, dass wir Kontakt zu Festangestellten bekommen haben, die uns vorher nicht leiden konnten. Die Firma schürt ja solche Differenzen. Sie sagt den Festangestellten: die PraktikantInnen sind billiger als ihr, also passt bloß auf, wenn ihr hier Aufstand macht oder schlecht arbeitet, dann kommen die PraktikantInnen, die dieselbe Arbeit für den halben Lohn machen.
Die Löhne sind im Vergleich zu anderen Jobs gut. Ich arbeite sechs Stunden, fünf Tage in der Woche. Zur Zeit Montag bis Freitag, nicht am Wochenende. Dafür bekomme ich 600 pesos (200 US$). Die LeiharbeiterInnen bekommen etwas mehr als wir, und sind außerdem sozialversichert. Wir sind das nicht, und darum geht es auch. Auf die Hand bekommen wir nicht viel weniger als die anderen, aber wir haben keine Sozialversicherung, bekommen kein Weihnachtsgeld, keine Produktivitätsprämie, kein Urlaubsgeld, keine Rente. So spart die Firma Millionen an uns.
Die Praktika sind nicht obligatorisch. Sie stellen das als ein Angebot von Universität und Firma dar, in den Firmen zu arbeiten und dabei noch was zu lernen. Es gibt außerdem noch andere Praktika - z.B. im Krankenhaus, ich studiere Psychologie. Das sind richtige Praktika - auch wenn ich nicht damit einverstanden bin, dass diese Praktika unbezahlt sind. Aber dann gibt es diese Vierjahresverträge. Das war früher mal kürzer, drei Monate, sechs Monate, zwei Jahre, je nach Regierung. Als ich angefangen habe, waren es vier Jahre. Das Gesetz über die Praktika hat Eduardo Menem, der Bruder von Menem unterzeichnet, und so ist es auch...
Dreimal entlassen und immer noch da
Die erste Entlassung war nachdem ich ein Jahr dort gearbeitet habe. Das war eigentlich Unsinn, ich hab nicht so richtig verstanden, was die damit eigentlich wollten. Eines Tages ging ich wie üblich zur Arbeit, ich musste um 9:30 Uhr da sein, aber ich habe den Fehler begangen, um 9:31 Uhr anzukommen. Ich frage den Supervisor, den Teamleader: Wo soll ich mich einloggen, auf welchem Arbeitsplatz? Er sagt mir: 'nirgends, setz dich hier hin und warte. Du kommst ständig zu spät' - was eine Lüge war - 'du kannst nachhause gehen'. Sowas passierte jeden Monat. Eine flog raus, weil sie schlecht geantwortet hatte, die nächste, weil sie einen Kunden abgewürgt hatte, die nächste wegen irgendwas anderem. Das passierte jeden Monat und normalerweise gingen die Leute dann einfach nachhause, ohne groß zu protestieren. Ich hab dann gleich einen Riesenaufstand gemacht. Ich hab rumgebrüllt, damit das wenigstens alle mitkriegen. Danach wollte ich mit der Gewerkschaft reden, mit den Delegierten in unserem Gebäude. In unserer Abteilung, bei den Telefonen, gibt es keine Delegierten der Gewerkschaft, denn wir PraktikantInnen können weder in die Gewerkschaft eintreten, noch Delegierte wählen. Es gibt nur wenige LeiharbeiterInnen, und die wollen nicht Delegierte sein. Das ist eine komische Abteilung, alles StudentInnen mit wenig Arbeitserfahrung, die sind gegen die Gewerkschaft eingestellt, nicht gegen die Gewerkschaftsbürokratie, sondern allgemein gegen Gewerkschaften. Das macht die Sache ziemlich schwierig. Es wäre gut, wenn wir in unserer Abteilung Delegierte hätten, mit denen wir in Kontakt bleiben könnten. Delegierte gibt es bei den Installateuren, im Erdgeschoss, von wo aus sie auf Montage fahren. Dann gibt es noch Delegierte in der Verwaltung, die sind auch auf einer anderen Etage. Ich bin zu den Installateuren gegangen, denn die hatte ich zumindest schonmal gesehen. Ich hatte aber noch nie was mit denen zu tun gehabt, außer über die Blume, die sie am Frauentag verteilen: 'Compañera, eine Blume für dich zum Frauentag!' - da hatte ich sie wenigstens schonmal gesehen, und so bin ich hingegangen. Die Antwort war negativ: 'Du bist doch Praktikantin, und schon öfters zu spät gekommen...' Ich hab ihm gesagt, dass es nicht gerechtfertigt ist, jemanden wegen einer Minute Verspätung zu entlassen. Und: ich würde Leute aus dem anderen Gebäude kennen, das wegen der Entlassungen besetzt war, mit Unterstützung der Gewerkschaft, da hätten sie schon was für die PraktikantInnen tun können, damit sollte er mir also nicht kommen. Ich würde auch Leute aus der Uni kennen, und wenn er nichts für mich machen würde, würde er ziemlich schlecht dastehen, weil er einer Arbeiterin die Unterstützung verweigert hat. Er hat dann mit der Geschäftsleitung geredet, und am nächsten Tag haben sie mich zu einem Kapo von der Personalabteilung gerufen. Dort haben sie mir gesagt, das wäre ein Irrtum gewesen, eine Überreaktion des Supervisors, und sie würden sich dafür entschuldigen.
Bei der zweiten Entlassung lief das besser. Das war nach dem Konflikt, da war ich schon bekannt. Sie haben mir andere Schichten zugeteilt, mich in andere Gruppen versetzt, mich von hier nach da geschickt. Sie wollten, dass ich nicht mehr mit den Leuten reden kann. Der Typ hat mir gesagt: 'Dich setzen wir zum Arbeiten zwischen vier Wände, das läuft nicht, dass du hier wegen jeder Kleinigkeit einen Aufstand anzettelst'. Die hatten mich ziemlich auf dem Kicker. Die Gewerkschafter riefen mich ständig an, um mir zu sagen, dass die Geschäftsleitung sie angesprochen hätte, weil sie nicht wüssten, was sie mit mir machen sollten.
Eines Tages - das war an meinem Geburtstag - haben sie dann zwei Stunden mitgehört, ohne mir das mitzuteilen. Ich hatte um 16 Uhr Feierabend, und um zwei Minuten vor vier bekomme ich einen Anruf, wo die Frau mich beschimpft, weil sie eine falsche Rechnung bekommen hatte. Ich hab ihr alles erklärt, aber sie hat mich weiter als Hurentochter beschimpft. Da hab ich aufgelegt, hab gedacht 'an meinem Geburtstag höre ich mir das nicht länger an' - und bin gegangen. Es war schon fünf nach vier, also fünf Minuten nach Feierabend. Sie haben das mitbekommen, weil sie mitgehört haben. Sie haben mich zu sich gerufen und mir gesagt, ich wäre entlassen, weil ich einen Kunden abgewürgt hätte.
Das lief dann besser als beim ersten Mal. Ich bin bis sechs Uhr geblieben, um noch mit der Gewerkschaft zu reden. Sie hatten schon vorher mit der Gewerkschaft geredet, weil sie wussten, dass ich da hingehen würde. Für den nächsten Tag war organisiert, dass sich alle um 10 Uhr ausloggen, um meine Wiedereinstellung durchzusetzen, alle Leute, das war da schon was anderes. Am nächsten Tag ging ich arbeiten, und der Typ sagte mir: wir versetzen dich in eine andere Abteilung, aber wir schmeissen dich nicht raus. So ist am Ende also wieder nix passiert. So sieht's jetzt aus.
Zur Zeit mache ich nix. Da arbeite ich einfach nur. Als was zu machen war, da habe ich das gemacht, aber wenn es bei der Arbeit von der Situation her nicht möglich ist, was anzuzetteln, dann versuche ich, keinen Fehler zu machen, damit ich ihnen keinen Grund liefere.
Die Arbeit nervt und macht krank
Jeder legt nachmittags um vier mal bei einem Kunden auf, das machen wir alle. Wir haben etwa 130 Anrufe pro Tag, manchmal etwas weniger, 80 bis 100, in 6 Stunden. Wir sitzen in einer Box, den Computer vor uns, rundrum Trennwände, sodass du den neben dir nicht sehen kannst. Du musst dich aus der Box rauslehnen, um mit dem neben dir reden zu können. Alle 3 Sekunden kommt ein Anruf rein. Den schickt dir der Computer. Du hast da keine Kontrolle. Wenn du ein Gespräch beendet hast, kannst du nicht aufhören. Nach 3 Sekunden hast du den nächsten Kunden dran. Da ist wenig Gelegenheit für Gespräche.
Auch das ist ein Punkt, an dem sie uns bescheissen. Die Arbeit der TelefonistInnen ist von Anfang an als gesundheitsschädlich eingestuft worden. Weil es dich im Kopf verrückt macht, weil ich nur noch die Hälfte sehe im Vergleich zu vorher, weil ich auf einem Ohr nichts mehr höre. So sieht's aus. Aber sie sagen, dass wir keine TelefonistInnen sind, weil wir im Verkauf arbeiten. Wir verkaufen Dienstleistungen. Also sind wir HandelsvertreterInnen der Firma, und diese Arbeit ist nicht als gesundheitsschädlich eingestuft. Wir müssten laut Gesetz jede Stunde 10 Minuten Pause haben. Das Gesetz haben sie in der Diktatur erlassen. Stell dir vor: wir haben heute noch nichtmal das, was die Militärs den Arbeitern zugestanden haben! Wir müssten mehr Pausen haben und eine Gefährdungszulage bekommen. Das ist eine der Forderungen unserer Abteilung 112, dass sie uns als TelefonistInnen anerkennen.
Letztens hatten wir ein Treffen, wo wir in unserer Abteilung darüber diskutiert haben. Wir denken, dass dieses Thema auch zur Organisierung im Betrieb dienen kann. Gemeinsam mit CeProDH, die jetzt auch eine Gruppe haben, die Untersuchungen zu Arbeit und Gesundheit macht, haben wir angefangen, darüber zu reden, ein Untersuchungsprojekt bei Telefónica zu machen. Mich interessiert das auch, weil ich das in der Fakultät mitkriege. Und das könnte man auch gegenüber dem Ministerium benutzen. Wir könnten die Forderung mit Theorie untermauern, mit einer ernsthaften Untersuchung, die nachweist, dass die Arbeit gesundheitsschädlich ist, dass wir alle schlecht sehen, dass wir alle psychologische Probleme haben. Unglaublich viele Leute bei meiner Arbeit nehmen Psychopharmaka! Oder sie sind in psychiatrischer Behandlung, weil sie Depressionen haben. Viele haben Panikattacken. Die hatten sie vorher nicht. Wir alle haben psychosomatische Probleme. Bei mir löst sich alle zwei Monate die ganze Haut von den Händen. Der Arzt sagt, das sind die Nerven. Sowas haben wir alle.
Ausserdem sind die Geräte schlecht. Die Schaumgummis, die als Schutz auf den Kopfhörern sind, fehlen. Die wurden nicht ersetzt, weil sie importiert sind, und sie sagen, dass sie die wegen der Abwertung nicht mehr kaufen können. Wir haben alle Hornhaut auf den Ohren, weil die Schaumgummis fehlen.
Wir hatten die Idee, diese ganzen Informationen zu sammeln, in einer Befragung, um eine Untersuchung gemeinsam mit den Leuten anzufangen. Die Leute sollen sich direkt an der Befragung und an der Untersuchung beteiligen. Und das soll dann veröffentlicht werden, damit die Leute in den asambleas wissen, wie wir hier arbeiten.
Die Gesundheitsprobleme sind ein ständiges Thema bei der Arbeit. Deshalb wollen wir das aufgreifen. Aber das ist noch ein Plan. Mal sehen, wie wir das hinkriegen.
Psychoterror
Ein weiteres Thema ist der Druck von den Supervisoren. Du bist da am arbeiten, bedienst die Kunden, und hast einen hinter dir stehen der ständig sagt: 'Verkaufen! Verkaufen! Verkaufen!' Wir haben eine bestimmte Anzahl von Dienstleistungen, die wir pro Tag verkaufen müssen. Der Typ läuft da rum, und ausserdem erscheinen im Computer noch so kleine Hinweise: 'Mariana, was ist los, du musst mehr verkaufen'. Wenn er nicht hinter dir steht, dann schickt er dir solche Hinweise. Während du den Kunden bedienst.
Früher gab es noch härtere Geschichten. Da haben sie dem, der wenig verkauft hat, eine Mütze aufgesetzt. Der sass dann den ganzen Nachmittag mit der Mütze da, damit alle sehen konnten, dass er derjenige ist, der in der Gruppe am wenigsten verkauft. Du durftest die Mütze nicht abnehmen. Das war Wahnsinn. Fürchterlich. Ausserdem machen sie Wettbewerbe zwischen den Gruppen, welche mehr verkauft. Bis vor einem Jahr haben die Leute sowas mitgemacht. Jetzt nicht mehr. Heute sagen die Leute: 'Mehr kann ich nicht verkaufen, weil das Land ein Chaos ist, weil die Leute nix kaufen können, und weil diese Firma Scheisse ist'. Aber bis vor einem Jahr war das übel, da haben die Leute sowas geschluckt und mitgemacht, haben sich über den mit der Mütze lustig gemacht. Ich konnte das kaum glauben.
Das sind Leute von 24, 25 Jahren. Das kam mir vor wie ein Kindergarten. Für viele ist es der erste Job. Die Leute fangen mit 19 an. Der älteste 'Praktikant' wird 26, 27 sein, höchstens 28. Die Leute sind so zwischen 20 und 28 Jahre alt. Wenig Arbeitserfahrung, wenig Erfahrung mit Organisierung, oder eher gar keine, null Erfahrung mit der Gewerkschaft. Das hat seine Zeit gedauert , da mussten drei Jahre vergehen, bis die Leute gesagt haben: 'Das darf doch wohl nicht wahr sein'. Das war nicht einfach.
Achtzig Prozent der Leute in diesem Job sind Frauen. Es kommt eben besser, wenn ein Mädel bedient. Man sagt, dass Frauen mehr Geduld haben, aber die hab ich schon verloren. Es ist furchtbar, die Leute anlügen zu müssen. Am Anfang hat mir das nicht so viel ausgemacht. Aber mit der Zeit geht's dir damit immer schlechter, wenn die Leute mit ihren Beschwerden Recht haben. Ich lüge sie nicht an. Ich sage: 'Was soll ich dazu sagen...'. Die Leute wollen sich auch gar nicht mit mir anlegen, aber am Ende beschimpfen wir uns den ganzen Morgen gegenseitig. Sie sagen: 'Ich weiss, dass du nichts dafür kannst, aber du bist die einzige, mit der ich reden kann. Für mich bist du die Firma.' Ich antworte ihnen, dass ich nix über die Firma sagen kann, weil die vielleicht mithört.
Nach meinem Konflikt hat die Gewerkschaft durchgesetzt, dass sie es ankündigen, wenn sie mithören. Nicht bei dir persönlich, aber an den Tagen, wo sie mithören, geben sie das bekannt. Im Computer erscheint ein Hinweis: 'Heute wird mitgehört'. Und an den Tagen, wo es keinen Hinweis gibt, können sie dir keine Probleme machen, wenn sie mithören, wie du irgendeinen Unsinn machst. Aber das ist relativ, weil du das nie mitkriegst. Sie können dann sagen, dass ein Kunde sich beschwert hat. Für sie ist das ne feine Sache. Selbst wenn sie nie mithören, arbeitest du gut, weil du es nicht weißt. Das ist das Panoptikum, richtig foucaultmässig! Fordismus, Toyotismus, der ganze Foucault, ich hab das alles gelesen, na prima, ich wusste das doch alles vorher - aber wenn du das dann selbst erlebst, da kriegst du echt die Krise.
... und Arbeitspsychologie
An der Uni musste ich Seminare zu Betriebspsychologie machen, ekelhaft, ich hasse das. Immer wenn es um Beispiele ging, sollte ich erzählen, wie das in der Praxis aussieht, weil Telefónica ein Vorzeigebetrieb ist, mit den neuesten Errungenschaften, mit Gruppenarbeit. Wo sie die Arbeiter fertig machen, aber so, dass es noch gut aussieht. Wo sie dir erzählen, dass du Teil der Firma wärst, und dir danach in den Arsch treten. Das Fach hat mich echt Nerven gekostet. Ich hab mich ständig mit den Dozenten gestritten. 'Du willst mich überzeugen, dass das gut sein soll? Ich arbeite doch jeden Tag so! Was ich als Arbeitspsychologen kenne, das sind die, die mich fertig machen. Die sich irgendwas ausdenken, um mir zu sagen, dass ich zu einer Arbeit nicht tauge, und dass sie mich entlassen müssen.' Das haben wir gesehen. Sie machen dich krank im Kopf, und dann sagen sie: weil du krank im Kopf bist, kannst du die Kunden nicht mehr bedienen. Und dann schmeissen sie dich raus.
Bei Telefónica gibt es einen Supervisor auf 12-15 Leute. Wir sind Gruppen von 15 Leuten, die ein bestimmtes Aufgabensoll hat. Dann kommt der Supervisor: 'Los Leute, haut rein, noch vier für jeden!' Dann gibt es Gruppensitzungen, Gruppendynamik nennen sie das, wo darüber diskutiert wird, was in der Gruppe fehlt, wie es besser gehen könnte. Aber als der Konflikt losging, haben sie die Gruppendynamik abgeschafft! Jetzt gibt es sie wieder, und wir überlegen, wie wir sie mehr für uns benutzen können. Aber von November bis Februar gab es keine 'Gruppendynamik'.
Guter Job oder beschissene Arbeit?
Das ist widersprüchlich. Mit den Angeboten für freiwilliges Ausscheiden ist darüber viel diskutiert worden. Einerseits haben die Leute gesagt: 'Ich wäre doch blöd, zu gehen, denn einen anderen Job von sechs Stunden für 600 pesos werde ich nicht wieder finden'. Damit packen sie dich. Es ist kein sehr guter Lohn, aber für sechs Stunden, so dass du auch noch zum Studieren kommst, deinen Abschluss machen kannst und all das, das ist nicht leicht zu finden. Wenn ich von dem Job erzähle, fragen sie mich: 'Und worüber beschwerst du dich?' Naja, wenn man hier drin ist, sieht das anders aus. Man ist die Arbeit schnell leid. Selbst die Supervisoren sagen, dass man diese Arbeit nicht länger als drei Jahre machen kann, weil man davon krank wird. Die meisten, die freiwillig ausscheiden, tun das, weil sie nicht mehr können. Auf dem Klo triffst du jeden Tag eine, die heult, weil sie es nicht mehr aushält: 'Nein, ich will nicht mehr, ich will hier weg'. So weit geht das. Einerseits halten die Leute es nicht mehr aus und gehen. Andererseits sagen sie auch: na gut, bevor sie mich rausschmeissen... Zur Zeit nehmen die Aufhebungsverträge zu. Das ist eigentlich komisch, denn wir arbeiten ja schwarz. Dass sie uns Geld als Abfindung anbieten, zeigt die große Schwäche der Firma. Sie könnten uns doch einfach rausschmeissen, und fertig. Aber das können sie eben doch nicht. Dem Gesetz nach schon, aber sie wissen, dass es die asambleas gibt, die besetzten Fabriken. Erinnerst du dich an den Aufstand um Aerolineas Argentinas? Zu sowas könnte sich das entwickeln. Nicht wegen uns, sondern wegen dem Hass, den die Leute auf Telefónica haben. Weil sie wissen, was die Privatisierung bedeutet hat. Telefónica ist zum Symbol für üble Privatisierung und europäischen Imperialismus geworden. Wenn du die Leute fragst: 'Nenne mir ein privatisiertes Unternehmen, das dich betrogen hat' - dann sagen sie Telefónica. Telefónica hat die höchsten Gebühren, und die Leute wissen, dass es die höchsten weltweit sind. Sie schicken ständig falsche Rechnungen, berechnen Gespräche, die du nicht geführt hast, und du kannst nichts dagegen machen. Das sehen die Leute. Meiner Meinung nach könnten wir einen großen Aufstand anzetteln, wenn sie Leute rausschmeissen oder die Gebühren erhöhen wollen. Deshalb versuchen sie, das mit Abfindungen zu regeln.
Meine Freunde haben mich gefragt, warum ich nicht gehe, ich könnte doch eine bessere Arbeit finden. Das war, als sie mich so fertig gemacht haben, als sie mich mürbe machen wollten, damit ich freiwillig gehe. Freunde machten sich Sorgen, weil es mir schlecht ging. Aber ich habe Nein gesagt. Ich würde vielleicht gehen, wenn sie mir richtig viel Geld anbieten würden. Aber erstens werden sie das nicht tun, und zweitens will ich hier bleiben, weil ich hier was machen will, weil ich was verändern will. Wenn's nicht mehr für mich ist, dann für andere. Wir sind einige, die so denken: dass sie uns nur los werden, wenn sie uns feste Verträge geben. Sonst nicht. Wenn sie mich fest einstellen, ja, dann kündige ich - denn diese Arbeit ist wirklich scheisse.