Wildcat Nr. 87, Sommer 2010 [leiharbeit ist scheiße]



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Schoko-Riegel und Schoko-Igel
Eine Saison in der Berliner Süßwarenindustrie

Interviews mit LeiharbeiterInnen

Leiharbeit ist Scheiße

Strategischer Einsatz der Leiharbeit



Zwischen 2002 und 2004 wurde die Leiharbeit durch gesetzliche Deregulierung stark ausgeweitet. Mitte 2008 war die Zahl der LeiharbeiterInnen im Vergleich zu 2005 um 84 Prozent gestiegen. LeiharbeiterInnen können nun von den Verleihfirmen nur für einzelne Aufträge eingestellt und sofort danach entlassen werden. Und die Dauer einer »Überlassung« ist nicht mehr begrenzt, sondern Leiharbeiterinnen sind zunehmend dauerhaft, über Jahre im gleichen Betrieb. Viele Betriebe setzen mittlerweile durchgängig eine bestimmte Quote an Leiharbeitern ein, um Kosten zu sparen. Schon mit der ersten starken Ausweitung der Leiharbeit in den 90er Jahren, möglich aufgrund der hohen Arbeitslosigkeit nach dem Anschluss der ddr, stieg die Lohndifferenz zu den StammarbeiterInnen von 28,3 Prozent 1990 auf 41 Prozent im Jahr 2001. Mit dem Angriff im Zuge der Hartz-Gesetze wurde dann ein Niedriglohnsektor geschaffen, der nicht nur einen Teil der Arbeitskraft billiger machte, sondern auch die Arbeitsbedingungen Aller unter Druck setzt. Genau das ist eine der Funktionen der Leiharbeit geworden. Wenn die LeiharbeiterInnen kommen und gehen, sind sie keine große Konkurrenz für regulär Beschäftigte: deren Wissen und Kompetenz können sie nicht ersetzen. Wenn sie aber länger im Betrieb sind, erfüllen sie die gleichen Funktionen wie die Stammarbeiter und werden zur ständigen Bedrohung: sie machen die gleiche Arbeit zu schlechteren Bedingungen. Das erhöht die Erpressbarkeit aller anderen, die merken, dass sie ersetzbar sind und Zugeständnisse machen. Die Diskussion über Löhne und Arbeitsbedingungen in der Leiharbeit dient der Abschreckung nach dem Motto: »Guckt mal, wie gut ihr es noch habt!« Zahlreicher Verzicht auf Weihnachts- und Urlaubsgeld und auf Lohnerhöhungen waren der »Erfolg« dieser Politik. Letztlich sollen die Arbeitsbedingungen so aufgeweicht werden, dass die »klassische Karriere« abgeschafft wird, die auch einfache ArbeiterInnen nach einigen Jahren im selben Betrieb machen konnten: Niemand soll mehr standardmäßig das Recht auf einen lebenslangen Arbeitsplatz mit Lohnerhöhungen, Zusatzleistungen und Rente haben.

Leiharbeit als Puffer in der Krise…

Abgesehen von diesem strategischen Einsatz der Leiharbeit dient sie als immer größerer Puffer für Arbeitskraft. Während ein Teil der Leute lange im gleichen Betrieb bleibt, muss ein anderer Teil oft wechseln. Das gilt nicht nur für die Einsatzbetriebe, sondern auch für die Verleihfirmen. Diese stellen Leute zunehmend für einen bestimmten Auftrag ein, demnächst sicher noch wie bei Selbständigen für ein bestimmtes Arbeitsvolumen!

Die Hälfte aller im Jahr 2008 bei Audi in Ingolstadt beschäftigten Leiharbeiter beispielsweise wurde nur für diesen Auftrag befristet bei den Verleihfirmen angeheuert. Diese Kollegen verlieren ohne dass es einer Kündigung bedarf mit der Abmeldung bei Audi ihren Arbeitsplatz. Bei Airbus, wo ca. ein Drittel der Beschäftigten Leiharbeiter sind, wurde mit Produktionsreife des A380 rund 1000 von ihnen mitgeteilt, dass sie in Hamburg-Finkenwerder nicht mehr gebraucht werden und sich nach einem neuen Arbeitsplatz umsehen sollen.

Für 2006 ermittelte die Regierung eine durchschnittliche Vertragsdauer von 131 Tagen, also freundlich gerechnet 4,5 Monaten. Rund zehn Prozent der Arbeitsverhältnisse dauern weniger als eine Woche, ca. 42 Prozent zwischen einer Woche und drei Monaten. Viele LeiharbeiterInnen kommen so kaum je aus der Probezeit oder in den Genuss von Lohnerhöhungen.

Dass die Leiharbeit den Personalabteilungen eine grandiose Flexibilität ermöglicht, hat sich in der Krise bewiesen. Die LeiharbeiterInnen sind als erste entlassen worden, ihre Zahl hat sich bis Mitte 2009 von 650 000 um ca. 200 000 reduziert. Aufgrund ihrer vereinzelten Situation konnte diese Massenentlassung ohne Gegenwehr, und auch ohne Solidarisierung von Festangestellten durchgezogen werden. Größere Entlassungswellen von Festangestellten wurden u.a. dadurch bisher vermieden.

… wird noch ausgeweitet

Bereits seit Mitte 2009 zieht die Beschäftigung von LeiharbeiterInnen nun schon wieder an, im Februar 2010 waren rund 560 000 Menschen bei Verleihfirmen angestellt. Die Krise wird dafür genutzt, die flexibel einsetzbare Arbeitskraft auszudehnen, und Stammarbeitsplätze zugunsten von Leiharbeit abzubauen. Bei Daimler, wo es seit Sommer 2008 keine Neueinstellungen gegeben hatte, sind im Januar 2010 in Sindelfingen 300 Leiharbeiter fürs erste Quartal angeheuert worden, im Mai kamen 270 weitere dazu. Für den ganzen Konzern wurde der verstärkte Einsatz von Leiharbeitern, Fremdfirmen und Befristeten angekündigt und zum Teil schon in Betriebsvereinbarungen umgesetzt. Bei regulären Arbeitsverträgen will man sich dagegen zurückhalten. Daimler will offenbar von bmw lernen, wo der Leiharbeiteranteil schon in den letzten Jahren hoch war und es mit Entlassungen in der Krise keine Probleme gab. Auch dort wird nun neu eingestellt: Bei bmw in Leipzig arbeiten schon wieder mehrere hundert LeiharbeiterInnen, die Einstellung weiterer ist für dieses Jahr angekündigt.

Eine weitere Verschiebung hin zu Leiharbeit ist also eindeutig. Zumal sie vom Staat ordentlich unterstützt und subventioniert wird. Im April 2010 beziehen 11,2 Prozent der sozialversicherungspflichtig bei Verleihfirmen amgestellten ArbeiterInnen aufstockendes alg ii. Seit März 2009 ist es auch für Sklavenhändler möglich, Kurzarbeit zu beantragen. Es gibt zahlreiche Kooperationen mit der Bundesagentur für Arbeit, z.B. qualifiziert sie in einem Pilotprojekt zusammen mit Adecco, Manpower und Randstad gerade zehn Auserwählte zu AltenpflegerInnen, die damit gleich einen unbefristeten Zeitarbeits-Vertrag kriegen.

Die aktuelle Thematisierung der Leiharbeit bereitet ihre weitere Ausdehnung vor. Die schlimmsten Fälle werden skandalisiert, um das Image der Leiharbeit durch den Kontrast zu den schwarzen Schafen aufzupolieren. Regulierungsmaßnahmen und die stärkere Überwachung der Verleihfirmen sollen sie vor sich selbst schützen und die schlimmsten »Exzesse« verhindern. Entsprechend der Maßgabe des sozialpolitischen Sprechers der fdp, Kolb, im Januar 2010 im Bundestag: »Wir werden nicht zulassen, dass die Zeitarbeit zerstört wird!« Auch die dgb-Gewerkschaften bekennen sich zu diesem Vorgehen und nutzen die Diskussion, um sich von der »Schmutzkonkurrenz« durch Christliche Gewerkschaften abzugrenzen. Wenn deren Tarifverträge »keine Anwendung mehr finden«, könne »man auch die Leiharbeit und Zeitarbeit als ein vernünftiges arbeitsmarktpolitisches Instrument weiterführen. Ansonsten wird sie sich selber desavouieren.« (dgb-Chef Sommer)

Regulierungsbedarf

Nachdem der dgb lange das Verbot von Leiharbeit gefordert hatte, akzeptierte er in den 90er Jahren ihre »Notwendigkeit« und ging dazu über, sich an ihrer Regulierung zu beteiligen. Damit wirkt er nicht nur an einer Festschreibung der Leiharbeit mit, sondern sogar an im Vergleich zur »Stammbelegschaft« ständig sinkenden Löhnen. Statt die eu-Richtlinie zur Wirkung kommen zu lassen, nach der LeiharbeiterInnen den gleichen Lohn kriegen müssen, schließen die Gewerkschaften Tarifverträge, mit denen diese Regelung unterlaufen werden kann. Sowohl Arbeitgeber als auch Bundesregierung haben ein Interesse an solch einer Tarifierung, und ihnen gegenüber muss sich der dgb als vertrauenswürdiger Verhandlungspartner beweisen, um auf oberster politischer Ebenen mitzuspielen.

Die andere Machtbasis der Gewerkschaften, wichtiger als die Mitgliederstärke, sind die Betriebsräte. In Deutschland sind die Gewerkschaften anders als etwas in Frankreich und Italien nicht als politische Organisationen in den Betrieben vertreten, sondern sie können nur Einfluß nehmen, indem sie Betriebsräte stellen. Daher sind ihre Interessen stark auf den einzelnen Betrieb und die jeweiligen StammarbeiterInnen ausgerichtet. Dass LeiharbeiterInnen seit 2001 an den br-Wahlen im Entleihbetrieb teilnehmen dürfen, wenn sie mehr als drei Monate dort beschäftigt sind, ändert daran nicht viel. Mit der Bedrohung der ›regulären‹ Arbeit durch die Verstetigung der Leiharbeit wächst aber auch der Handlungsbedarf der Gewerkschaften. Der dgb versucht sich mit Kampagnen für »Equal Pay« zu profilieren – was angesichts gleichzeitig abgeschlossener Billigtarifverträge kaum gelingt. Betriebsräte der ig-Metall schwingen politische Reden gegen die Leiharbeit, unterschreiben aber im selben Moment Vereinbarungen zu ihrer Ausweitung. Die Handlungsmacht der Betriebsräte, sich in gewohnter Stellvertreter-Manier einzusetzen, ist beschränkt: der Einsatz gegen Niedriglöhne einer Verleihfirma führt dann nur dazu, dass der Betrieb die Zusammenarbeit mit dieser einstellt und eine vermeintlich bessere wählt.

Die Spaltung erhalten

Die Ausweitung der Leiharbeit hat aber ihre Grenzen, wenn die Betriebe merken, dass sie ohne die LeiharbeiterInnen gar nicht mehr vernünftig produzieren können, weil sie für den Arbeitsprozess unerlässlich geworden sind. Wenn krisenbedingt 30 Prozent der Leute entlassen werden, die sich auskennen und eingearbeitet sind, funktioniert dieser nicht mehr. Wächst der Anteil der Leiharbeiter beliebig, sind Solidarisierungsprozesse unvermeidlich.

Wie Schlecker haben viele Unternehmen Tochterfirmen gegründet, die als hauseigene Verleihfirmen dienen: Telekom, Bahn, vw, basf, tui, aber auch Krankenhäuser und Zeitungsredaktionen. Oft werden ganze Abteilungen ausgelagert und die Leute verlieren einen guten Teil ihres Lohns. Ohne solche Praktiken ernsthaft zu unterbinden, müssen Grenzen gesetzt werden (ein »Lex Schlecker« ist bereits in Planung): Leiharbeit soll nicht allgemein werden, denn in der Verallgemeinerung liegt immer die Gefahr von gemeinsamer Gegenwehr und Kämpfen. Wenn sie als Drohung für die Festangestellten funktionieren soll, muss die Trennung aufrecht erhalten werden. Es sind weiter unterschiedliche Formen der Beschäftigung notwendig, für die einen als Druckmittel, für die anderen als Versprechen.

Gerade wurden neue Tarifverträge für die Leiharbeit abgeschlossen, ab Mai 2011 gibt es in der untersten Lohngruppe ganze 6,56 Euro im Osten; beim dgb sollen es ab 2012 gar 7,50 Euro werden. Dieser versucht sich solche Verhandlungsergebnisse als Erfolg auf die Fahnen zu schreiben - und kann manche Betriebsräte vor Ort noch das ein oder andere Schmankerl aushandeln lassen. In manchen Großbetrieben wurde beispielsweise Equal-Pay eingeführt (es geht für die Unternehmer nicht allein darum, am Stundenlohn zu sparen, sondern vor allem an Zusatzleistungen und langfristigen Kosten wie Rente und Krankengeld). Die Kampfkraft stärkt das nicht unbedingt, die LeiharbeiterInnen versuchen sich an solchen Betrieben festzuklammern und nehmen an Protesten der KollegInnen nicht teil.

Kollektive Prozesse?

Es gab in Deutschland bisher kaum Kämpfe von und mit LeiharbeiterInnen. Kollektive Prozesse entstehen oft aus Konflikten, die als individuelle beginnen und sich dann ausweiten. Aber solche Entwicklungen können nicht stattfinden, wenn jede Leiharbeiterin, die Ärger macht, sofort rausfliegt. Man sieht sie nie wieder und kommt gar nicht erst dazu, sich gemeinsam was zu überlegen.

Die wenigen Kampfbeispiele weisen auf zwei Bedingungen hin, die es ermöglichen, sich gemeinsam zu bewegen. Zum Hungerstreik von Leiharbeitern in Hannover (s.u.) konnte es kommen, weil diese sich, nachdem sie über den ganzen Betrieb verstreut gearbeitet hatten, in einer Schulung kennengelernt haben und ins Gespräch gekommen sind.

Wenn es mal dazu kommt, dass die Fluktuation begrenzt ist und man über einen längeren Zeitraum gemeinsam arbeitet, am besten an der selben Maschine, kann sich die klassiche Erfahrung, Grundlage aller kraftvollen Arbeiterkämpfe, einstellen: dass man im Arbeitsprozess aufeinander angewiesen ist und sich helfen kann – und dementsprechend auch darüber hinaus. Bei Daimler in Hamburg war es so möglich, dass sich Leih- und StammarbeiterInnen gemeinsam gegen Arbeitshetze gewehrt haben.

Da LeiharbeiterInnen jederzeit aus dem Betrieb entfernt werden können, ist eine Gegenwehr nur denkbar, wenn StammarbeiterInnen mitziehen und sich für diese einsetzen. Die Hürde ist, dass es keine gemeinsame Situation als Ausgangsbasis gibt, die Bessergestellten müssen sich für die Schlechtergestellten einsetzen. Es ist durchaus auch in ihrem Interesse, durch die Einebnung der Unterschiede die Möglichkeit der Bosse zu unterbinden, die Leute gegeneinander auszuspielen. Wo dieses Interesse bewusst ist und im Vordergrund steht, wird in kurzer Zeit die Gleichstellung von Neueingestellten erreicht oder komplett verhindert, dass Leute zu abweichenden Bedingungen eingestellt werden. Es gibt schließlich immer noch Betriebe, in denen es keine Leiharbeiter und Befristeten gibt! Oft ist ein gemeinsames Ziel aber gar nicht mehr vorhanden, können die StammarbeiterInnen keine kollektive Kraft entwickeln, weil sie selbst völlig vereinzelt sind. Es gibt keine Vorstellung davon, zusammen bessere Bedingungen zu erkämpfen – die Möglichkeit die eigene Lage zu verbessern wird nur in individuellen Deals gesehen.

Um sich nicht am Gegeneinander und der Vereinzelung totzulaufen, müssen die Kämpfe beginnen, diesen ganzen Komplex aufzuknacken.

Leiharbeiter kämpfen bei vw

Aller über die Leiharbeit ausgeübte Druck funktioniert, weil sie die ArbeiterInnen durch unterschiedliche Rechte, Sicherheiten und Löhne voneinander trennt und gegeneinander ausspielt. Die miesen Bedingungen in der Leiharbeit sind überhaupt nur möglich, weil alle einzeln vor ihrem Sklavenhändler stehen. Kollektive Aktionen sind schwer – aber wenn es sie gibt, können sie viel bewirken. Das zeigt der Hungerstreik bei vw-Nutzfahrzeuge in Hannover im Frühjahr 2009, dessen Erfolg die Wiedereinstellung von 138 Entlassenen war. 1

Den LeiharbeiterInnen war nach Auslaufen ihrer befristeten Verträge bei der wob ag, einer vw-eigenen Leihfirma, eine Weiterbeschäftigung verwehrt worden, obwohl durch die Abwrackprämie bei vw in Wolfsburg neue LeiharbeiterInnen eingestellt wurden.2 Die mehrtägige Aktion wurde möglich, weil die letzten 213 der ehemals rund 900 LeiharbeiterInnen in einen Qualifizierungslehrgang gesteckt wurden, als es nichts mehr zu tun gab. In diesen Kursen lernten sie sich überhaupt erst kennen und konnten so gemeinsam handeln. Einige von ihnen organisierten selbständig Aktionen vor dem Werkstor, eine Demonstration in die Stadt und den mehrtägigen Hungerstreik.

Diese in der brd bisher einmalige Aktion von Arbeitern, die sonst als »unorganisierbar« gelten, war ein Fanal in einer Zeit, in der massenhafte Entlassungen von Leiharbeitern noch im vollen Gange waren. Individuellen Widerstand von prekär Beschäftigten gibt es immer wieder, aber eine auf länger angelegte gemeinsame Aktion in der Öffentlichkeit war neu. Entsprechend nervös reagierte vwn und die wob-ag:

»Wir haben am 25. März die Demo in die Stadt organisiert. Als sie von der Demo hörten, haben sie uns am selben Tag, zwei Stunden bevor die Demo losgehen sollte, ins Maritim-Hotel mit Kaffee und Kuchen eingeladen, scheißweit weg. Wir hatten ein Flugblatt an die Stammwerker im ganzen vw-Werk verteilt, das hat ihnen nicht gepasst.«

In mehreren Gesprächen, an denen z.T. auch die ig-Metall beteiligt war, wurden scheibchenweise Weiterbeschäftigungen angeboten:

»Vor dem Streik hatte uns der wob-Vorstand 15 Stellen angeboten, damit waren wir nicht zufrieden. Nach Beginn des Streiks stieg die Zahl der angebotenen Arbeitsplätze auf 82. Als wir dann auch noch Demos vor Ort veranstaltet haben, wurden 138 Leute eingestellt«.

Waren anfangs bis zu 150 der Entlassenen vor dem Tor, bröckelte die Zahl auf 15 bis 20, nachdem sie individuell angerufen wurden und eine Weiterbeschäftigung in Aussicht gestellt bekamen.

Die Grenze des Streiks lag darin, dass eine Verbindung zu den StammwerkerInnen nur vereinzelt gelang. Zu einer Kundgebung vor dem Werkstor waren 22 von ihnen gekommen, weitere verfolgten sie hinterm Zaun vom Werksgelände aus. Obwohl bei Conti nebenan gerade Demos gegen Massenentlassungen liefen, gab es keine Solidarisierung. Deshalb endete die Aktion in der Vereinzelung vor Gericht. Im üblichen individuellen Kleinkrieg droht nun Frust und Isolierung, gerade die Aktivsten drohen persönlich zu verlieren. Zwölf von ihnen gehören nicht zu den Übernommenen, mussten prozessieren und sind zum Teil dennoch mittlerweile arbeitslos. Schon die Beteiligung weniger Dutzend vwler hätte die Sache ganz anders enden lassen. ■


Mittlerweile haben sich die Arbeits- und Lohnbedingungen in vielen Entleihfirmen so verschlechtert, dass eine Festeinstellung nicht mehr unbedingt attraktiv ist, zumindest wenn man nach bza-Tarif beschäftigt ist und sich schon ein paar Garantien beim Sklavenhändler erarbeitet hat.

Ein Leiharbeiter, der in einem Lebensmittelbetrieb (Süßigkeiten) mit hohem Anteil an Saisonarbeit gearbeitet hat:

»Die hatten mir auch mal einen Vertrag angeboten, den ich aber abgelehnt hab. Die verdienen da 8,50. Das ist ein Euro mehr als ich kriege. Und das ist dann auch immer nur für drei bis fünf Monate und den Rest sind sie arbeitslos und müssen zum Amt rennen. Die haben auch Festangestellte, die müssen aber erstmal als Saisonarbeiter anfangen und das dann bis zu sechs Jahren durchmachen. Ich hab jetzt einen »unbefristeten Vertrag«, hab 30 Urlaubstage… bin zufrieden - so zufrieden, wie man eben sein kann in der Zeitarbeit.»

Ein anderer ist schon länger in einer Großglaserei, er arbeitet mit einem Kollegen auf dem Werksgelände und packt die Scheiben auf Montagefahrzeuge:

»Die haben mit jetzt angeboten, mich fest zu übernehmen. Das habe ich abgelehnt – was sie nicht verstanden haben – ich würde ja 500 Euro brutto mehr im Monat verdienen. Aber nee – da müsste ich dann raus auf die Baustellen. Die haben 40 Stunden die Woche, arbeiten in der Regel aber 60. Haben weniger Urlaub – ich habe 30 Tage im Jahr. Bekomme Urlaubs- und Weihnachtsgeld und ich brauch nur 35-Stunden arbeiten. Manchmal bisschen mehr – muss ich aber nicht. Das hab ich denen aber nicht gesagt.«

Nicht immer ist das Verhältnis zwischen Festangestellten und Leiharbeitern schlecht. Ein Leiharbeiter über seine Erfahrungen in einer Maschinenbaufirma:

»Das Verhältnis zu den Festangestellten war gut. Am Anfang gab›s Probleme mit dem Chef vom Lager. Der meinte, wir sollen immer von Montag bis Donnerstag 6 - 16 Uhr arbeiten und Freitag bis 13, 14 Uhr, während alle anderen Gleitzeit haben. Das haben wir dann auch sechs Monate durchgezogen. Dann wollte er, dass wir auch noch am Freitag bis 16 Uhr arbeiten, so das wir auf 42 bis 44 Wochenstunden gekommen wären. Mein Kollege sagte, dass er das nicht kann, wegen Familie und so. Er antwortete nur, wir seien nicht bei »Wünsch dir was«, und dass er gefälligst zu arbeiten hätte. Das hörte einer der Festangestellten, der griff gleich zum Telefon und erzählte das dem Betriebsrat. Der ist dann direkt zum Chef und hat ihn richtig angeschrien. Wir standen vor dem Büro und haben das gehört. Er drohte ihm mit Gerichtsverhandlung, wenn wir nicht wie alle anderen auch Gleitzeit hätten. Wir sind dann an dem Tag um 13 Uhr nach Haus und hatten ab da Gleitzeit mit 40,5 Stunden wie alle anderen auch.« »Bei N. hab ich fast ein ganzes Jahr durchgearbeitet, im Lager. Die haben mir aber kein Angebot zur Übernahme gemacht. Der Betriebsrat kam mal, und sagte, dass ich ja schon so lange da bin und auch igm Mitglied geworden bin. Sie würden sich für uns stark machen, das glaub ich ja sogar. Der war auch ein netter Mensch. Ich hab da insgesamt 20 Monate gearbeitet - mal drei, dann wieder weg, dann wieder zwei, dann halt mal zwölf Monate durch, so war das. Und so haben die mich seit Jahren gekannt. Da haben sich sich schon versucht stark zu machen für uns, aber das war im Oktober 2008 wohl zu spät. Da hieß es, dass N. eh alle Leiharbeiter entlassen wird.«


Fußnoten:

Leiharbeit – »Rauskommen war schwieriger«.Wildcat 79

[1] Wildcat 84 – »Was bisher geschah« zum Hungerstreik in Hannover

[2] Wie man auch seine Festeinstellung bekommt: Einer der nicht weiterbeschäftigten Kollegen ist einfach mit in den Bus gestiegen, der die Leute nach Wolfsburg gebracht hat. Dort hat er zwei Tage gearbeitet, bis vw aufgefallen ist, dass er eigentlich gar nicht dabei sein dürfte. War aber zu spät, sie hätten ihn sofort nach hause schicken müssen. So war sein Vertrag arbeitsrechtlich verlängert, und er hat beim Prozess seine Festeinstellung erwirkt.

Schoko-Riegel und Schoko-Igel
Eine Saison in der Berliner Süßwarenindustrie

Interviews mit LeiharbeiterInnen



aus: Wildcat 87, Sommer 2010



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