Wildcat-Zirkular Nr. 56/57 - Mai 2000 - S. 52-53 [z56kris1.htm]


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Unser Schwerpunkt zu Krise und Krisentheorie ist ein

Blick in die Werkstatt:

Ein Veranstaltungs-Referat, Materialien (Übersetzung), ein Fremdbeitrag, eine Rezension/Zusammenfassung.

Um Mißverständnisse zu vermeiden: Wir haben nicht deswegen einen Schwerpunkt zu Krise gemacht, weil in den letzten Wochen die Aktienkurse ein bißchen gebröckelt sind. Das muß noch nicht der Zünder für die weltweite Depression sein, das kann auf der Ebene der »gesunden Korrektur« bleiben. »Es war kein Crash; die befürchtete Kettenreaktion ... blieb aus. ... Aber der Volkswirtschaft tut es gut, wenn das Kapital nicht auf jeden prasselt, der die Hand aufhält.« (Die ZEIT vom 19.4.00)

Seit dem letzten Einbruch in der inzwischen 30jährigen Stagnationsphase des Kapitals beschäftigen wir uns mit der Krise. Bereits im ersten Heft des Wildcat-Zirkulars (Februar 1994) waren zwei Beiträge zu Krise und Krisentheorie. Wir wußten von Anfang an, daß das schon insofern ein längerfristiges Unterfangen werden würde, als unsere eigenen theoretischen Grundlagen in diesem schärfsten Kriseneinbruch des Jahrhunderts nicht mehr ausreichten. »Die Arbeiterklasse produziert die Krise« reichte als Erklärung nicht mehr aus in einem Jahrzehnt mit den wenigsten Streiks und der tiefsten Krise des Jahrhunderts. In den sechs Jahren Zirkular hatten wir immer mal wieder einen Beitrag zum Thema drin, so z.B. im letzten Heft einen Artikel von Fred Moseley, der aufgrund der nach wie vor niedrigen Profitrate der US-Wirtschaft eine Depression voraussagt.

Der folgende Artikel ist die überarbeitete Fassung eines Referats zur Krise. Er soll nur mal einen roten Faden in die Debatte ziehen. Da für unsere eigene Aufarbeitung die Frage nach dem Zusammenhang zwischen Klassenkampf und kapitalistischer Krise im Zentrum steht, wird vor allem die Krisenentwicklung verfolgt und auf hingetupfte »Zusammenhänge« zwischen Klassenhandeln und Krise, wie sie v.a. im amerikanischen Operaismus der 70er und 80er Jahre üblich waren, verzichtet. Ausarbeitungen zu Einzelfragen werden folgen.

Im Artikel »Spekulatives Wachstum« versucht Paolo Giussani auf unsere Bitte hin, die Entstehung der spekulativen Blase und den Zusammenhang von spekulativem und produktivem Kapital zu erklären. Insbesondere geht er auf den angeblich längsten Boom in der Geschichte der USA ein.

Seit 25 Jahren findet die marxistische Debatte über die Krise des Kapitalismus in Englisch, Italienisch und Französisch, ggf. in Spanisch statt, aber nicht mehr in Deutsch. »Addressing the World Economy: Two Steps Back« ist die Zusammenfassung eines Texts von Ben Fine, Costas Lapavitsas und Dimitris Milonakis. Es ist eins von sehr vielen Papieren, die zu Robert Brenners »The Economics of Global Turbulence« (New Left Review 229) geschrieben worden sind. Fast alle Beiträge waren kritisch bis vernichtend - und unserer Ansicht nach zurecht; aber etwas ganz wesentliches hat Brenner mit seinem Beitrag geleistet: Er hat die Krisendebatte neu entfacht. Wir haben ihren Artikel so zusammengefaßt, daß ihr nicht Brenners Buch lesen müßt, um die Argumente zu verstehen. Aber schaden kann das sicher nicht: Brenner hat sehr viel empirische Recherche in sein Buch gesteckt.

Wir haben bei der Zusammenfassung die Kapitelaufteilung des Artikels beibehalten, aber besonderes Gewicht auf das siebte Kapitel gelegt, weil sich hier zwei Achsen schneiden: Zum einen unsere eigene Beschäftigung mit der Krisentheorie der Operaisten und allgemein mit Krisentheorien, die in den Kämpfen der ArbeiterInnen die direkte Ursache für kapitalistische Krisen sehen. Zweitens streifen Fine/Lapavitsas/Milonakis hier nocheinmal die erste Brennerdebatte, in der Brenner ganz deutlich Stellung bezogen und historisch die Bedeutung der Klassenkämpfe im Übergang vom Feudalismus zum Kapitalismus herausgearbeitet hat - eine Debatte, die für die heutige Diskussion um die weltweiten Proletarisierungstendenzen nach wie vor von entscheidender Bedeutung ist.

»Ökonomisches Gesetz und Klassenkampf« wurde 1980 geschrieben und ist auf Englisch und Italienisch erschienen. Ron Rothbart faßt darin die damalige linksradikale Debatte um Krise(ntheorie) von ihren zwei Polen her zusammen: einerseits Paul Mattick, andererseits Socialisme ou Barbarie und der amerikanische Operaismus. Er versucht, zwei linksradikale Varianten von Krisentheorien, welche in den Kämpfen der Arbeiterklasse (bzw. in den daraus folgenden höheren Löhnen) die direkte Krisenursache sehen, mit dem Ansatz von Paul Mattick zu vermitteln. Allerdings läßt Rothbart gerade die Strömungen, die uns an Socialisme ou Barbarie und dem Operaismus interessieren, völlig außen vor, indem er die Geschichte von SoB nur anhand ihres prominentesten Vertreters Castoriadis (der in den letzten 20 Jahren seines Lebens ein überzeugter Anhänger der parlamentarischen Demokratie wurde) diskutiert und den Operaismus mit der US-amerikanischen Variante des angenommenen Klassenstandpunkts »abdeckt«. Aber wichtig ist, daß Rothbart damit beginnt, die Marx'sche Methode auf die »marxistischen« Krisentheorien selbst anzuwenden und bestimmte »Einsichten« des Operaismus mit der Klassengeschichte in Italien in Verbindung bringt.


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