Polnischer Sommer in Westeuropa
Organisierungsversuche bei Tesco in Irland und anderswo
Gleichzeitig mit einem Hungerstreik polnischer Leiharbeiter auf einer Werft im französischen St. Nazaire [1] und Organisierungsversuchen von polnischen LeiharbeiterInnen in der Fleischindustrie in England [2] fingen im Juni polnische Leiharbeiter in einem Großlager der Supermarktkette Tesco in Dublin an, sich selbst zu organisieren. Sie fordern die Festeinstellung bzw. Gleichstellung der Leiharbeiter und die Senkung der ständig steigenden Arbeitsnormen. Ein Interview mit Radek Sawicki, einem der Organisatoren, haben wir in der Wildcat #74 veröffentlicht [3].
Im Laufe des Kampfs gelang es der irischen Gewerkschaft SIPTU, den Arbeitern die Initiative mit dem Versprechen, die Angelegenheit auf höchster Ebene juristisch zu regeln, weitgehend aus der Hand zu nehmen. Noch im Interview hatte Radek zwar bedauert, dass seine eigene Initiative ins Stocken geraten war, die Rolle der Gewerkschaft aber überwiegend positiv gesehen. Als Radek und sein Kollege Zbyszek dann entlassen wurden [4], hielt die SIPTU still. Als die beiden daraufhin zusammen mit polnischen Kollegen und irischen AnarchistInnen ein Verteidigungskomitee für Tesco-Leiharbeiter organisierten und bei Tesco zum Streik aufriefen, trat die SIPTU diesem Streikaufruf offen entgegen und rief zum Weiterarbeiten auf [5]. Gegen die Entlassungen und die Praktiken von Tesco hat es in seit Ende Juli in Irland und Großbritannien eine Reihe von Protestaktionen gegeben [6], seit Mitte August auch in Polen selbst [7]. Die Rolle der Gewerkschaft(en) dagegen wird im Moment nicht sehr ausführlich diskutiert.
Die polnischen ArbeiterInnen im Ausland lassen sich nicht mehr übersehen; sie fangen an, ihre Auseinandersetzungen selbstbewusst und offen zu führen. Sie sind überall in Westeuropa. Sie sind mobil und stehen miteinander im Kontakt. Auch wenn wir noch nicht von einer breiten Bewegung sprechen können, fällt auf, wie parallel diese Bewegungen stattfinden. Wir hoffen natürlich darauf, dass der Funke von den polnischen auf die einheimischen ArbeiterInnen überspringt. Dies wird aber nur von einer Position der eigenständig entwickelten Stärke aus gehen.
Im bisherigen Verlauf der Auseinandersetzungen ist eine Reihe von Fragen aufgetaucht, die wir hier nur andeuten und noch ganz und gar nicht beantworten können: Welche zeitlichen, biographischen und politischen Perspektiven verbinden die polnischen ArbeiterInnen mit ihren Jobs in Westeuropa, wie viel Lust und Möglichkeiten haben sie, sich über ihre eigene ethnische Szene hinaus zu organisieren, lassen sich die Solidaritätsaktionen in Polen auf eine nationalistische Logik ein? Welches Interesse an den polnischen ArbeiterInnen gibt es in den verschiedenen Ländern Westeuropa, welche Bereitschaft gibt es, sich praktisch auf ihren Kämpfe zu beziehen? Diese Fragen lassen sich nur praktisch beantworten, aber auf jeden Fall haben die polnischen ArbeiterInnen sie auch auf unsere Tagesordnung gesetzt.
Weiterführende Infos:
Auf englisch gibt es ziemlich ausführliches Material über den Tesco-Konflikt auf Indymedia Irland.
Auf polnisch gibt es ausführliche Infos (sowohl zu Tesco als auch zu polnischen ArbeiterInnen in Westeuropa allgemein) auf der Website der Kampagne für Saisonarbeiter und Emigranten (Kampania na rzecz Pracowników Sezonowych i Emigrantów).
Fußnoten:
[1] Siehe Bericht von Bernhard Schmid vom 08.08.2005 auf deutsch auf Labournet.de
[2] Hierzu gibt es einen Artikel von Ewa Jasiewicz vom 14.08.2005 (bisher leider nur auf polnisch) auf Indymedia Polen
[3] Siehe das Interview mit Radek Sawicki in der aktuellen Wildcat #74.
[4] Die Forderungen werden gut beschrieben vom Tesco-Agenturarbeiterkomitee (hier auch der polnische Originaltext).
[5] Vergleiche Radeks Bericht über die Aktion am 28. Juli und das Verhalten der Gewerkschaft (hier auch der polnische Originaltext).
[6] Siehe hierzu z.B. den Kurzbericht der britischen Gewerkschaft T&GWU vom 03.08.2005 auf englisch.
[7] Ausfürliche Berichte von den Aktionen in Polen am 12.08.2005 haben u.a. die liberale Tageszeitung Gazeta Wyborcza und die Presseagentur PAP (hier der polnische Originaltext) gebracht.