Editorial
Kann sich noch jemand an Osama bin Laden erinnern?
Das war vor 6 Monaten der meistgesuchte Terrorist auf der Erde, die USA sahen sich sogar gezwungen, ein ganzes Land zu bombardieren, um seiner habhaft zu werden. Irgendwie hat sich das geändert, ein US-Regierungssprecher nuschelte neulich sogar was in Richtung »wir hatten keinen speziellen Streit mit Herrn Laden und suchen ihn im Moment auch nicht gezielt«. Wir selber können in diesem Heft auch nicht weiter zur Suche nach Herrn Laden beitragen: hat er seinen Dialyse-Apparat unter einem anderen Zelt aufgeschlagen? ist er noch im Land? wird ihn der örtliche CIA-Chef wieder am Krankenbett besuchen? (vgl. www.fromthewilderness.com) Auf diese und ähnliche Fragen wollen wir aber auf jeden Fall im nexten Zirkular eingehen, wenn es heißt Globaler Klassenkrieg: Bomben auf das WTC und auf Afghanistan die Zweite!
Eines ist jedenfalls sicher: der Krieg in Afghanistan ist nicht zuende! Auch beim Thema unseres diesmaligen Zwischenrufs, der Umstrukturierung der Arbeitsämter anhand des Statistik-Skandals hat die Frankfurter Rundschau am 11.3. etwas Sicheres entdeckt: »Eines ist bei den Berliner Umbau-Plänen für die Nürnberger Bundesanstalt sicher: Die künftige Spitze wird für den Beitragszahler teurer als die aktuelle. Jeder der drei neuen Vorstände dürfte schätzungsweise doppelt so viel verdienen wie der heutige BA-Präsident...« - jeder der drei doppelt so viel wie einer, macht 6, oder?
»Wenn es ernst wird und ans Eingemachte geht« hatten wir im letzten Zirkular behauptet, »dann wissen alle - sogar der Kanzler Schröder! -, daß 'der Markt' richtig scheiße ist und daß 'wir das irgendwie gemeinsam', also staatlich, regeln müssen.« So was ähnliches ist gerade im kapitalistischen Weltsystem passiert, eine regelrechte Zeitenwende: der IWF stützt einen Staat (und dessen Sozialausgaben!), nämlich Argentinien, und nicht - wie bisher - die Kredite der Banken! Das zeigt, für wie stark gefährdet die Herren ihr Weltsystem halten und für wie unangemessen ihre bisherigen »neoliberalen Grundsätze«.
Wir halten die Frage danach, wie sehr die Kämpfe in Argentinien dem Kapital ans Eingemachte gehen, für zentral. In der Beilage [PDF] geben wir einen groben Überblick, was seit dem Dezember passiert ist, welchen Charakter und welche Vorgeschichte das hat. Im zweiten Teil haben wir einige Stücke aus dem sehr materialreichen Steinbruch von Mouvement Communiste zu der extrem spannenden und vielseitigen Geschichte der Klassenkämpfe in Argentien entnommen. Nur daraus lassen sich die spezifischen Abwege (Peronismus), die brutale Repression (Militärputsch) und die heutigen Entwicklungen verstehen. Wir hoffen, daß die Bewegung in Argentinien wenigstens mal etwas Schwung in die hiesigen schlurfigen Diskussionen bringt! Die deutsche Linke ist dermaßen verwirrt und mit sich selbst beschäftigt, daß sie solche welthistorischen Entwicklungen kaum mehr zur Kenntnis nimmt. Das gilt z.B. auch für eine der größten Streikbewegungen von Erdölarbeitern, die seit mehreren Wochen China erschüttert!
Apropos »Erdölarbeiter«: M. aus Hamburg kommt auf S. 7 ff. nochmal auf einen zentralen Begriff in der Palästina-Beilage des Wildcat Zirkulars 62 zurück (»Ölproletariat«) und bringt einige Ergänzungen an.
Aber was ist jetzt mit Holzmann? Wo bleibt Supermento/eur Schröder? wird »der Kanzler« nochmal...??? Wird in zwei Jahren noch jemand Holzmann kennen? Was kracht schneller: Holzmann, die (deutschen) Banken oder die Antideutschen Ideologen mit ihrem beliebten Beispiel für Antisemitismus in Deutschland (türkische Holzmann-Arbeiter vor der Deutschen Bank). Im Editorial des letzten Zirkulars hatten wir mit allem nötigen Ernst gefragt: »Warum setzen wir uns mit solchem Schwachsinn auseinander?« - Bevor jetzt jemand fragt: Und warum tut ihr's schon wieder? schon mal die Antwort: »Damit es nie mehr geschehe!« (Adorno) Im Schwerpunkt dieses Hefts Schäferhunde mit Schreibmaschine gehen wir nochmal auf den Hühnerhaufen Antideutsche, auf den Zusammenhang von Lebenswirklichkeit und schwachem Denken (Nebelkerzen) und dessen Grundgewißheiten ein.
Im nexten Heft geht es um die Globalisierungsbewegung, Kritik an »Empire« und um ... richtig Globaler Klassenkrieg: Bomben auf das WTC und auf Afghanistan die Zweite! quod erat demonstrandum - wozu wiederum Loren Goldner schreibt auf S. 44 ff.: Marx und Universalität.
Wir haben mit der Beschränkung auf 56 Seiten immer riesige Platzprobleme und deshalb zunächst überlegt, die letzten drei Seiten von Lorens Artikel wegzulassen - es ist aber ein fulminanter Einspruch gegen die damals auch in linksradikalen Kreisen gepflegte Dependenztheorie und paßt deshalb gut in den Schwerpunkt des Hefts (Antideutsche zwischen Anti-Imperialismus und völkischem Denken). Die Beilage zu Argentinien ließ sich (selbst in der fast unleserlich kleinen Schrift) auf gar keinen Fall auf 56 Seiten zusammenpressen, und die nexte Stufe von 80 Seiten haben wir überschritten, so daß am Ende eine Seite leer blieb! :-)
Potsdam, 21. März 2002