Wildcat Nr. 88, Winter 2010 [commons_empire]



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Vom Empire zum Commonwealth!?

Das letzte Gemeinschaftswerk von T. Negri und M. Hardt liegt nun schon eine Weile auf Deutsch vor – sorgfältig übersetzt, gestaltet und gedruckt. An Besprechungen mangelt es nicht, D. Harvey nahm ausführlich die Schwächen auseinander, die Zeit druckte einen Verriss, der ak zunächst eine lobhudelnde, dann eine sehr kritische Rezension, und die Wiener Grundrisse beschäftigten sich in ihrem letzten Heft in mehreren Artikeln v.a. mit den philosophischen Aspekten.
Wir werden nur kurz die Argumentationslinie zusammenfassen (ein fast unmögliches Unterfangen), um zu sehen, wie Hardt und Negri auf den »Common(s)«-Zug aufspringen.
Wie die »Menge« zum »Fürsten« wird, ist das Programm des Buchs. Wie kann sie das in der Armut liegende Potential entwickeln und zu einer globalen Demokratie führen, in der alle am Gemeinsamen teilhaben.
Das Buch gliedert sich in sechs Teile zu je drei Kapiteln, der erste beginnt furios mit einer Kritik der bürgerlichen Revolution und der Menschenrechte als »Republik des Eigentums«, u.a. gestützt auf Marx, um dann nach einem Kapitel über die »produktiven Körper« wieder mal bei der »Biopolitik« zu landen, die zu einem auf die Zukunft gerichteten »Ereignis« wird, das »Freiheit« und »Wille zur Macht« verbindet.

Teil II nimmt sich die Kritik der Moderne vor, setzt aber nicht die »Gegenmoderne« dagegen (auch die Nazis waren anti-modern), sondern eine »Altermoderne«, in der Intellektuellen ein neuer Platz zugewiesen wird: nicht Avantgarde oder »organische Intellektuelle«, sondern lediglich Militante, die gemeinsam mit anderen in einem Prozess militanter Untersuchung eine neue Wahrheit hervorbringen.
Teil III (»Metamorphosen der Kapitalzusammensetzung«) beschwört den Trend zu Hegemonie oder Prävalenz immaterieller Produktion im kapitalistischen Wertschöpfungsprozess. Im »biopolitischen Zusammenhang« beziehe sich »organische Zusammensetzung« nicht nur auf die objektiven, sondern auch auf die subjektiven Bedingungen im antagonistischen Verhältnis zwischen Arbeitern und Kapitalisten. Das Kapital sei wesentlich (und notwendigerweise) eine Produktionsweise, die Reichtum dadurch schafft, dass sie Arbeitskraft ausbeutet. Aber heute bestimme es nicht mehr so wie früher die Ausgestaltung der Produktion, da die kognitiv und affektiv Arbeitenden unabhängig vom kapitalistischen Kommando und selbst unter sehr ausbeuterischen Bedingungen kooperieren.
Das wusste schon Marx, aber Hardt/Negri setzen noch eins drauf und behaupten: »Der Wert, den sich das Kapital durch Ausbeutung des biopolitisch Gemeinsamen aneignet, wurde in gewisser Weise außerhalb seiner selbst produziert.« (S. 155) Es handle sich nicht mehr um »reelle Subsumtion«, also Unterwerfung der Produktion und der ganzen Gesellschaft unter das Kapitalkommando, sondern das Kapital schwebe parasitär über ihr und herrsche mit Diziplinarregimen und Finanznetzwerken – nur noch interessiert an der Rente, nicht am Profit. Der Klassenkampf nehme die Form des Exodus an, dieses »Sich-Entziehen« sei aber nur auf der Basis des Gemeinsamen möglich.

Eine Theorie der Organisierung

Die Multitude sei kein spontanes politisches Subjekt, sondern ein Projekt politischer Organisierung. Deshalb gehe es um eine »Theorie der Organisierung, die der Multitude angemessen ist«, und darum zu zeigen, dass nur sie zur Revolution fähig ist. Die »Partei« sei heute kein Mittel mehr, um das Böse zu besiegen. (S. 215)
Teil IV streift das Empire, den 11.9. und das Ende der US-Hegemonie, um sich dann den Rebellionen in der Geschichte zuzuwenden: wie müssten sie heute organisiert werden, wie können wir von Lenin lernen, den Moment des Aufstandes nicht zu verpassen (S. 253). »Eine Arbeiterrevolution reicht heute nicht mehr aus, es bedarf vielmehr einer Revolution im Leben, des Lebens.« (S. 252) Die Metropole als Ort biopolitischer Produktion sei die »Fabrik zur Produktion des Gemeinsamen« – aber gleichzeitig von Konflikten, Destruktivität, Antagonismen und Gewalt geprägt.
Teil V (»Jenseits des Kapitals«) beschäftigt sich mit dem Scheitern des Neoliberalismus, der ein »Projekt zur Herstellung der Klassenmacht« war (Harvey), aber unfähig zur Ankurbelung und Organisation der Produktion: Mit dem Übergang von der industriellen zur biopolitischen Produktion verliere der Sozialismus seine Wirkung – er kann diese weder rationalisieren noch steuern. Dieser Übergang verwirklicht bzw. weitet Trontis Konzept der Fabrikgesellschaft aus, aber das Industrieunternehmen sei heute in den dominanten Ländern nicht mehr in der Lage, die Produktivkräfte zu zentralisieren und die Arbeitskraft ins Kapital zu integrieren. An seine Stelle trete ein gesellschaftsbasiertes Kapital, die Gesellschaft als ganze sei Hauptschauplatz produktiver Tätigkeit.



»Die kapitalistische Akkumulation ist dem Produktionsprozess heute vollkommen äußerlich, sodass Ausbeutung die Form der Enteignung oder Expropriation des Gemeinsamen annimmt.«


Eine zunehmend autonome Arbeitskraft und ein Kapital, das immer mehr zum reinen Kommando werde, stünden sich gegenüber: »Arbeitskraft ist deshalb kein variables Kapital mehr, das in den Körper des Kapitals integriert ist, sondern eine separate und zunehmend oppositionelle Kraft.« (S. 302). »Der Begriff des Kapitals [zerfällt] in zwei antagonistische Subjektivitäten«. (S. 303) Hauptstrategie des (?) »Kapitals« sei die Kontrolle durch das Geld – möglicherweise könnte aber das (bekanntermaßen janusköpfige) Geld in den Händen der Multitude ein Instrument der Freiheit sein, mit dem sich Elend und Armut überwinden lassen.
Am Ende widmen sich die Autoren einem möglichen Übergang durch die Entwicklung eines »Unternehmertums des Gemeinsamen« und der Erneuerung kooperativer sozialer Netzwerke als erste Stufe eines Programms für das Kapital – nicht um es zu retten, sondern weil es in diesem Übergang seine eigenen Totengräber erzeuge – bis die Multitude des Gemeinsamen eigenständig regieren kann.
Der letzte Teil beginnt mit einer schwungvollen Ablehnung jeder Identitätspolitik – es gehe um Befreiung, nicht um Emanzipation unter Beibehaltung der Identität! – und aller Institutionen, die das Gemeinsame korrumpieren (Familie, Nation, Unternehmen…), aber bislang in Kämpfen noch eine wichtige Rolle spielen. Es folgt ein Revolutionskonzept, das sich von denen der kommunistischen Bewegungen des 20. Jahrhunderts absetzt und kein von der übrigen Gesellschaft getrenntes Avantgarde-Subjekt und keinen hegemonialen Anspruch der Partei kennt.
Die technische Zusammensetzung des Proletariats heute (bei Hegemoniestellung der biopolitischen Produktion) mache einen Prozess neuer politischer Zusammensetzung durch demokratische Entscheidungsfindung möglich. (S. 358)
Der Aufstand müsse aber durch Institutionen verstetigt werden – Revolution sei die Ausweitung der Insurrektion zu einem institutionellen Prozess.
»Die Menschen sind von Natur aus nicht spontan in der Lage, aus freien Stücken miteinander zu kooperieren und das Gemeinsame zusammen zu lenken.« (S. 369) Dass sie nicht zur Demokratie fähig seien, wusste schon Lenin, eine »Übergangsdiktatur«, die den neuen Menschen schafft, lehnen Negri und Hardt allerdings ab, ebenso »Reformillusionen«, die die Revolution in die ferne Zukunft verschieben. Die Frage: »Wie lässt sich der Übergang steuern«, könne nur eine Untersuchung der technischen Zusammensetzung der Multitude beantworten, um ihre politische Zusammensetzung zu erkennen. Es gebe kein Entweder-Oder, sondern es gehe um Insurrektion und Institution, Transformation von Basis und Überbau – so könne die Multitude zum Fürsten werden.
Formen der Governance, also Regelungssysteme, wie sie heute in kapitalistischen Unternehmen benutzt werden, könnten zu einem demokratischen und revolutionären Konzept umformuliert werden. Schließlich hätten die Strukturen imperialer Governance ja Forderungen der Multitude aufgenommen, deshalb passen sie so gut für die Multitude.

Das Gespenst des Kommunen

Im Unterschied zum üblichen »Commons«-Diskurs wollen Hardt und Negri von der Zentralität der Produktion und somit der Klassenzusammensetzung ausgehen. So umfasst bei ihnen das Gemeinsame (sie streifen im Text en passant alle gerade gehypten historischen »Commons«, aber benutzen den Begriff konsequent im Singular!) nicht nur die natürliche Welt (»Natur ist einfach nur ein anderes Wort für das Gemeinsame«), sondern vor allem auch das Produzierte. Wieso aber die biopolitische (oder immaterielle) kapitalistische Produktion an sich bereits das Gemeinsame produziert – dafür bleiben sie jede Erläuterung schuldig. Wenn sich in einer Metropole mehrere selbstständige Medienarbeiter für ein Projekt zusammentun, dann tun sie das, um das Projekt zu verkaufen, im vollen und selbstverständlichen Bewusstsein, eine Ware zu produzieren – und je besser sie am Markt ankommt, desto teurer können sie sich anschließend verkaufen. Möglicherweise hätten diese Leute auch das Potential, Gemeinsames im Nutzen aller zu produzieren – vielleicht tun sie das auch, gegen den Castor, gegen S21, so wie früher ein Drucker heimlich Flugblätter nach Feierabend gedruckt hat – im vollen Bewusstsein. Aber gegen Bezahlung produzieren sie erstmal Waren, möglicherweise Kapital. Auch Mitte der 70er Jahre thematisierte Negri die »proletarische Selbstverwertung des gesellschaftlichen Arbeiters« und die »parasitäre Rolle des Kapitals« – ein Rückfall in die vom Operaismus zurecht kritisierte Selbstverwaltungsideologie.
Hardt und Negri verteidigen zwar ihre »neue Klassenzusammensetzung« (Multitude) gegen alle Kritiker, bezeichnen sie dann aber als politisches Projekt, das der Organisierung bedarf. In »Fabbrica della strategia – 22 Vorlesungen zu Lenin« hatte Negri Anfang der 70er Jahre Lenins Programm zur Erzeugung einer Arbeiterklasse dargestellt. Sein jetziges politisches Programm klingt sehr ähnlich: wie wird aus der »Klasse an sich« eine »Klasse für sich« – und: welche Aufgaben haben darin die Intellektuellen?
Die Fähigkeiten der Multitude (der Produktivkräfte), den Produktionsprozess selbstständig zu organisieren, geraten mit den völlig unangemessenen Produktionsverhältnissen immer mehr in Widerspruch – das klingt sehr nach Marx. Aber indem Hardt und Negri behaupten, in der biopolitischen Produktion seien die direkten Produzenten nicht mehr variables Kapital (und somit Teil des Kapitals und Feind in seinem Inneren), geben sie den Kapital-Begriff auf, und übersteigern das, was man der Autonomia zurecht vorgeworfen hat: Sie sehen Kapital und Arbeiterklasse nicht als antagonistisches Verhältnis, sondern als zwei getrennte Einheiten, die sich ein Ping-Pong-Spiel um die Macht liefern. Hardt/Negri vertreten damit eine dieser modischen Theorien, die im IPhone nur diskursive Netzwerke sehen, aber davon abstrahieren wollen, dass es industriell produziert ist, wie Dauvé/Nesic in »ArbeiterInnen verlassen die Fabrik« zurecht kritisieren.

Revolution oder Realpolitik?

Negri wäre nicht Negri, wenn seine Analyse nicht unmittelbare Anleitung zur (real-)politischen Intervention wäre! In den 80er Jahren sah er in der Alternativen Liste im Berliner Senat eine »Revolutionäre Institution des proletarischen Übergangs«. Heute spricht er von den »Institutionen der Insurrektion«, die das Eroberte sichern sollen – und gibt grünen ParteipolitikerInnen ein Buch in die Hand, mit dem sie ihre bürgerliche Basis als Multitude und die eigene üble Sozialpolitik als links verbrämen können.
Anders als die meisten post-operaistischen Theoretiker hantieren Hardt und Negri nicht mit einem Konzept von innerhalb und außerhalb des Kapitals. Aber mit ihrer Ablehnung der Dialektik werfen sie jeden Antagonismus innerhalb des Bestehenden über den Haufen. Wird die Menge durch einen reinen Willensakt zum Fürsten? Wer ist die Menge? Auch in Common Wealth werden alte Ideen neu formuliert und »passend gemacht«, offene Fragen aber mal wieder mit dem Hervorzaubern eines neuen Begriffs zugedeckt, der meist nicht einmal wirklich erklärt wird.
Der Schwung, mit dem die vielschichtige Bewegung gegen Stuttgart21 gegen die dumpfbackige Regierung ein neues Verkehrskonzept auf den Tisch packt, ist Hardt/Negris Common in Aktion: Informatiker und Projektmanager im Team-Work, alternative Professoren und Hobby-Geologen. Aber Hardt/Negris begrifflicher Setzkasten führt eher dazu, diese neuen Bewegungen hermetisch abzuschließen, als dass er uns bei der Suche hilft nach Punkten, wo dieses Engagement in Kritik an den sozialen Bedingungen umschlagen oder sich mit dem Leiden an der Arbeit verbünden könnte.

Das Buch enthält auf seinen 463 Seiten immer wieder erfrischende Passagen, in denen die Autoren nicht nur ihre Belesenheit ausbreiten, sondern fruchtbare Gedanken äußern, aber alles, was für ihre Argumentation wichtig wäre, tippen sie nur an, um es dann irgendwie in den großen kitschigen Schlussakkord einzubauen.

Keine Frage: es geht um die Aktualität der Revolution, um eine der heutigen Welt angemessene Begrifflichkeit. Aber bei den beiden Autoren weiß man manchmal nicht, ob sie sich lieber als Lenin oder als Heiligen Antonius sehen – oder vor allem nur quer zu allem bisher Gedachten stehen wollen. Und wenn sie in ihrem Schlusssatz mit »schallendem Gelächter« die Herrschaft des Eigentums begraben – lachen sie da womöglich auch ihre LeserInnen aus?





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