Wildcat Nr. 88, Winter 2010 [commons]



[Startseite] [Archiv] [Bestellen] [Kontakt]   Wildcat: Wildcat #88 – Inhalt [Gesamtindex]


Am 30. Oktober fand in Berlin-Kreuzberg eine Großveranstaltung statt: »Klasse und Krise – Wie geht es weiter?«. Der Referent Robert Kurz setzte weiterhin auf die Krise, er erwartet in absehbarer Zeit eine neue, weltweite. Die Referentin Stefanie Hürtgen sah aufgrund der anhaltenden Prekarisierungstendenzen keinen kollektiven Widerstand von der Arbeit ausgehen, und die Linke sei noch schwächer als vor der Krise.
Am Tag danach traf sich wenige Meter weiter im »Kartoffel-Café« ein Teil der internationalen Allmende-Konferenz mit Vertretern der »Nicht-kommerziellen Landwirtschaft ›Karlshof‹«. Helmut Höge dürfte als einziger bei beiden Treffen gewesen sein. Er schrieb darüber in der Jungen Welt vom 2. November:
»… diese »Commonismus«-Diskussion am Sonntag [war] die Antwort auf die Debatte am Samstag, insofern sie zum einen Marx’ Forderung einlöste, das zu denken, was nach dem Kapitalismus kommt, und zum anderen, indem sie implizit die Idee einer weiteren großen Geschichte zurückwies, in der die Teilnehmer nur noch für den Weltgeist die Kastanien aus dem Feuer holen müssen. … Im CommonsBlog heißt es an einer Stelle: »Die Idee der Commons ist besser ausgedrückt mit dem ›commoning‹, also nicht mit einem Subjekt, sondern mit einem Verb.« … Das Verb stammt von dem Historiker Peter Linebaugh…
Ähnliche Experimente finden derzeit in Rumänien, der Ukraine und Polen statt, wobei das polnische Netzwerk »krytyka polityczna« sich bereits zu einer halben sozialen Bewegung entwickelt hat… Es besteht also kein Grund zum Pessismismus, auch wenn das, wogegen man kämpft, scheußlich ist.«

Commons, Common Wealth, Commonismus…

Heiße Kartoffel

Der letzte buko hatte die Commons als Schwerpunkt; analyse&kritik schreibt seit einem Jahr fast kontinuierlich zum Thema; Negri/Hardts letztes Buch heißt Common Wealth; die Ökonux-Szene bezieht sich verstärkt auf die Commons; Eleonore Ostrom bekam für ihre Forschungen zu »Allmendestrukturen« den Nobelpreis; viele andere bürgerliche Gruppierungen hoffen angesichts der (finanziellen) Krise der Kommunen auf (günstigere) Lösungen jenseits des Sozialstaats.
Andererseits gibt es Suchbewegungen von unten, die Rohstoffengpässe, Nahrungsmittelkrisen, »Klimakatastrophe« und soziale Polarisierung einerseits, Kämpfe gegen Privatisierung, Bürgerentscheide um öffentliche Güter wie Wasser und Verkehr, urban gardening, Tauschläden, Umsonst-Kampagnen, Wohnprojekte andererseits in einen globalen Zusammenhang zu stellen versuchen.
Die Kämpfe der letzten Jahre blieben auf den (Sozial-)Staat und seine Institutionen bezogen: Arbeitskämpfe gegen Betriebsschließungen blieben im Tarifrecht und der gewerkschaftlichen Repräsentanz gefangen; Mobilisierungen gegen HartzIV in der Forderung auf staatliches Mindesteinkommen; die Bewegung gegen die Globalisierung in ihrer Kritik am »Neoliberalismus«.

Es ist dringend angesagt, auf allen Ebenen Organisations- und Vergemeinschaftungsformen jenseits vom Staat und seinen Institutionen zu entwickeln. Wie können wir rauskriegen, ob das in den aktuellen Bewegungen bereits passiert? Wie können wir dabei helfen, solche Prozesse anzuschieben?

Biedermeier oder Vormärz!?

Die globale Krise ist das Ende einer Konstellation, die in der long depression im letzten Viertel des 19. Jahrhunderts entstanden und in den Kämpfen der 60er und 70er Jahre des 20. Jahrhunderts heftig erschüttert worden war. Wie erleben wir die aktuelle Lage: als Biedermeier oder als Vormärz? Als Phase nach einer niedergeschlagenen Revolution, oder als vor-revolutionäre Etappe?
Gibt es heute Verbindungen zwischen der Ausweitung prekärer Arbeit, den Kämpfen in den »neuen Arbeitsbedingungen« oder gegen Betriebsschließungen einerseits und den Projekten und Diskussionen um die Commons andererseits? Bzw. wie sehen diese Verbindungen aus?
Mit einem Blick zurück lässt sich unsere Fragestellung vielleicht klarmachen: Ohne die »Hippie«-Kritik am Konsum hätte es die Neuzusammensetzung des Massenarbeiters in den Kämpfen der 1960er/70er Jahren so nicht gegeben. Der Kampf gegen die Arbeit hätte ohne die Vorstellung (und gelebte Praxis) von einem »anderen Leben« weniger Schlagkraft gehabt. Eine Kritik an den Hippies, wie sie FJ Degenhardt, die dkp und alle K-Gruppen damals vortrugen, sie würden sich nur um ihren eigenen »bemalten Bauch« kümmern, ging am Klasseninhalt dieser Bewegung vorbei.

Um die heutige Situation einzuschätzen, haben wir uns drei Sachen vorgenommen:

• genauer gucken, was diese Bewegung real (aus-)macht

• ihre historischen Bezüge aufhellen

• die theoretische Auseinandersetzung führen

Der Parlamentarische Geschäftsführer der fdp, Jörg van Essen, versuchte mit einem historischen Vergleich, die Proteste gegen Stuttgart21 anzugreifen: »Viele wissen nicht, dass der Weg zur ersten Eisenbahn außerordentlich schwierig war, denn die Bürger fühlten sich in ihrer Biedermeieridylle gestört« (Süddeutsche Zeitung 2./3. 10. 2010). Das Biedermeier war die Phase in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts, nach dem Sieg der Reaktion über die französische Revolution, in der sich das Bürgertum in die private Idylle zurückzog. Aus der Perspektive der 1848er Revolution wird diese Zeit aber zum (absolut spannenden!) »Vormärz«. Wer hat nun recht? Verteidigen die vielen Leute auf der Straße, in Berlin, im Wendland, in Stuttgart nur ihre Nischen? Oder enthalten die Kämpfe gegen die Privatisierungs- und Energiepolitik neue Ansätze, die genau die Einsperrung in Privat(sphäre) und Staat(spolitik) aufbrechen und überwinden? Und wenn ja: drückt die Commons-Debatte diese neuen Ansätze aus oder fängt sie sie wieder ein?
Um bei der Stuttgarter Bewegung zu bleiben: aus den Versuchen der staatlichen Umklammerung wird nur rauszukommen sein, wenn nicht auf Wahlen/Abstimmungen geschielt, sondern eine soziale Ausweitung versucht wird. Wenn es gelingt, den allgemeinen »Frust auf die da oben« in gemeinsames Handeln gegen die Ausweitung prekärer Arbeitsverhältnisse, die Verdichtung der Arbeit… zu verwandeln.

Theoretisch…

…machen die open source-Aktivisten mit ihrer Unterscheidung von Informationen und anderen Waren einen klassischen Fehler: sie unterstellen, dass das Eigentum an materiellen Gütern kein den Gütern äußerliches soziales Verhältnis ist, sondern ihrer »Natur« entspreche. Eigentum ist ein Verhältnis zwischen Menschen, nicht zwischen Dingen und Menschen. Es hat den gleichen ausschließenden Charakter, egal ob es um materielle oder immaterielle Güter geht. Aber ist das ein Kardinalfehler, der geradezu den »Erfolg« der open source-Bewegung erklärt? Sie verträgt sich jedenfalls bestens mit der it-Branche, die weiterhin nach altbekannten Prinzipien der privaten Ausnutzung von Erfindungen gedeiht. Oder ist es ein nebensächlicher Fehler? Denn auch hier sind Aktivisten, Theoretikerinnen und »Bewegung« erstmal nicht dieselben. Einige »machen«, andere »theoretisieren«; ohne klare Trennungen, aber auch ohne deutlichen Bezug aufeinander.

Es gibt keine einheitlichen theoretischen Bezüge; wichtig ist aber die aus dem Postoperaismus in den letzten zehn Jahren entstandene Theoretisierung der Commons (s.o. Höges Bezug auf Linebaugh). Die GenossInnen der englischen Zeitschrift Aufheben decken in ihrer Rezension die politischen Schwächen dieses Konzepts auf: Der Kapitalismus wird als Marktgesellschaft verstanden, die eigene politische Praxis deshalb als Verhalten auf dem Markt gefasst. Da sind diesmal sogar Negri&Hardt radikaler und sprechen vom Common, aber ihr Optimismus schießt wieder über alle Grenzen hinaus: das Common habe bereits einen gemeinschaftlichen Reichtum, ein gemeinschaftliches Tun, das wir nur noch befreien müssen.
Die Diskussion spaltet sich also schon am Wort: Common oder Commons? Commons sind ein Container für alle möglichen Arten von Widerstand und Kämpfen gegen die »Marktgesetze«. Historische Bezüge zum Beispiel auf die Allmende sollen Kontinuität und Möglichkeit von Alternativen zu Markt und Staat belegen. Aber gerade hier sind die Debatten und praktischen Initiativen oft am widersprüchlichsten. Die Gründe dafür arbeitet Aufheben in der Kritik an De Angelis heraus (s.u.).
Deshalb sprechen andere von the common, dem Gemeinsamen, das sie als Klassenkonzept und –praxis betonen, also vorgeblich aus der Arbeit entwickeln (Hardt/Negri sind die bekanntesten Vertreter). Die »immaterielle Arbeit«, die Produktion von Kommunikation und sozialen Beziehungen wird als Ergebnis der Klassenkämpfe der letzten Jahrzehnte und aktuelle historische Tendenz des Gemeinsamen, als »kommunistische Tendenz« verstanden.

Kritik und theoretische Auseinandersetzung ist also nötig, damit die Ambivalenz der neuen Ansätze nicht über solche Theorien schwuppdiwupp wieder in Richtung Parteien, Staat und eu (wie im Falle Negris) aufgelöst wird. Diese Debatte wollen wir im folgenden mit der Zusammenfassung des Aufheben-Textes und der Kritik an Commonwealth beginnen.

Historische Rückbezüge…

…sollen die politischen Lücken füllen. Die Idealisierung der mittelalterlichen Allmende oder der südamerikanischen Ayllus soll die »Alternative« einer anderen Gesellschaftlichkeit aufzeigen, ohne dass man sich theoretisch groß einen Kopf machen müsste. Wenn dermaßen die eigene Nische als »Systemalternative« aufgepeppt wird, geraten ganz schnell die konkreten sozialen Verhältnisse und vor allem die Menschen aus dem Blick. Die Allmenden, Ayllus usw. entwickelten sich unter ganz anderen Produktionsbedingungen und sozialen Verhältnissen. Und sie waren nur halb so gemeinschaftlich, wie oft angenommen wird. (siehe den folgenden Beitrag zu den Allmenden)

Soziale Bezüge…

…müssten wir selber aufzeigen können, indem wir »vom Tun« ausgehen. Kommen die Leute in den Bewegungen zusammen? Fließen durch die Dynamik der Krise bisher nebeneinander laufende Debatten zusammen? Werden Lösungen gesucht und ausprobiert, die über den eigenen Teller-/Szene-Rand hinausgehen? Hilft die Thematisierung der Commons dabei? Zeigen die Commons eine neue Dynamik zwischen (Klassen-)Kämpfen und »eingreifender« Gruppe auf, die z.B. weit über das »Vermitteln von Bewusstsein« rausgeht? Sind die Commons Infrastruktur für den Kampf – oder »Freiraum« für den Rückzug, Projekte einer privilegierten Linken, die letztlich nur ihr selber nutzen? Neue Formen der Vermassung sozialer Reproduktion oder Ansätze einer neuen Alternativökonomie? Werden die aktuellen Erfahrungen privatisiert, oder können sie mit-geteilt werden?

Viele Fragen. Für die nächste Wildcat planen wir deshalb einen Schwerpunkt zum Thema.



weiter zu anderen Artikeln des Schwerpunkts:


was war die Allmende?
Kampf um Wert oder Klassenkampf
Vom Empire zum Commenwealth?
Stuttgarter Momente
Nach dem Castor ist...


aus: Wildcat 88, Winter 2010



[Startseite] [Archiv] [Bestellen] [Kontakt]   Wildcat: Wildcat #88 – Inhalt [Artikel im Archiv] [Gesamtindex]