Wildcat-Zirkular Nr. 52/53 - Juli 1999 - S. 2-5 [z52edito.htm]


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Editorial: ... have a break!

»Wir befinden uns jetzt in einer Konstellation, die eindeutig den Bruch herbeigeführt hat. Den Bruch durch den imperialistischen Krieg und einen Bruch, der mit der Parole von workfare und Einführung von niedrigentlohnter Arbeit den Globalangriff auf die Klasse im Inneren vorbereitet.« Das waren die Schlußworte von Karl Heinz Roth auf einer Veranstaltung, die wir gemeinsam mit ihm in Köln während des Weltwirtschaftsgipfels gemacht haben. Wir hatten uns bewußt vom Alternativen Wirtschaftsgipfel abgrenzen wollen und die Veranstaltung an einem anderen Ort gemacht, gleichwohl mit vielen Flugis bereits während des EU-Gipfels und auf dem »Alternativgipfel« dafür mobilisiert. Das hätten wir uns ziemlich sparen können. Der Alternativgipfel selber war abschreckend. Irgendwie wollte man gegen den »Neoliberalismus«, MAI, Globalisierung und für Schuldenerlasse sein. Aber selbst das war noch zuviel! Ein eingeladener Vertreter der Internationalen Karawane hat sich auf dem Podium von der Veranstaltung distanziert, weil der »Gegenkongreß« sich nicht einmal auf die Forderung nach einem bedingungslosen Schuldenerlaß einigen konnte. Viele der Anwesenden können sich außer Regierungsberatung der Sozialdemokratie und Appellen an den Staat oder »internationale Organisationen« nix vorstellen. Wenige Tage nach dem sogenannten Kriegsende in Jugoslawien wollten schon wieder alle mit-regieren! Die Frankfurter Rundschau hat das ganz trocken kommentiert, indem sie über den »echten« und den »Gegenkongreß« in einem Artikel berichtete, so als hätten zwei Arbeitsgruppen zum selben Thema getagt.

Angesichts dieser noch frischen Eindrücke zog sich durch die gesamte Wildcat-Veranstaltung die Frage, wie wir selber den politischen Bruch zu dieser Linken vollziehen könnten. Teilweise weil sich anwesende Vertreter von ak, Beute u.ä. gegen diesen Bruch aussprachen, teilweise weil andere GenossInnen den Gedanken aufnahmen und radikalisierten: »Wir müssen einen öffentlichen Bruch vollziehen, es ist falsch, wenn wir uns einfach in andere Räumlichkeiten zurückziehen.« Einer von ihnen schrieb uns später: »Ich denke, wir sind uns einig, daß der ganze Gipfelrummel in Köln wieder mal überdeutlich gezeigt hat, auf welchem Grad von theoretischer und praktischer Verelendung die ganze (sozial)staatsfixierte Linke mitsamt ihren NGOs, gewerkschafts- und staatsfinanzierten und -kontrollierten 'Arbeitslosen'-Initiativen und bezahlten Sozial-Kontrolleuren und -Funktionären mittlerweile angekommen ist. Vielleicht wäre es ein lohnendes Projekt für die nächste Zeit, die Kritik an diesem reformistischen Possibilitismus zu präzisieren (über das Zirkular hinaus) und zu einer klareren Abgrenzung zu kommen.«

Wir fänden es gut, in diese Richtung weiterzudiskutieren und zu Ergebnissen zu kommen. Eine erste Konkretion, wo dieser Bruch politisch anzusetzen wäre, hatte Karl Heinz Roth bereits im letzten Zirkular vorgenommen: »Wir müssen eine neue außerparlamentarische Massenbewegung in Gang bringen, die den kriegführenden Parteien und Institutionen ihren Anhang und ihre Mitläufer wegnimmt, die Akteure des Kriegs isoliert und für ihre Verbrechen zur Verantwortung zieht. ... Dabei müssen wir vor allem denjenigen, die als funktionelle Grenzträger zum Massenprotest Betroffenheit und Zerrissenheit heucheln, ansonsten aber weiterhin knallhart die Kriegsmaschinerie ölen, entschieden entgegentreten. ... Wer jetzt die Grünen, die Sozialdemokratie und die anderen kriegsbefürwortenden Parteien und Organisationen nicht verläßt, wird sich in Zukunft vorhalten lassen müssen, daß sie/er in einer entscheidenden historischen Situation versagt hat.«

Die vielgerühmte »Zivilgesellschaft« ist für den Krieg eingetreten. NGOs haben geholfen, ihn auch materiell führbar zu machen: die Versorgung der Flüchtlinge hat das NATO-Bombardement möglich gemacht, ohne sie hätte sich die NATO selber was überlegen müssen. Also müssen wir jetzt auf Klärung drängen: gegen die Grenzträger der Kapitalherrschaft vorgehen, die Zivilgesellschaft als die andere Seite des Kapitalismus deutlich machen.

In einer beliebig gewordenen Linken hat der Krieg deutlich gemacht, wer auf welcher Seite steht. Das hatte neben der Verbitterung auch etwas Befreiendes - da wir von uns aus in der Lage sind, Fronten zu ziehen. Das Gefühl, aus dieser ins Endlose verlängerten Stagnationsperiode rauszukommen. Aber leichter wird es nicht.

(Karl Heinz Roth ist leider nicht rechtzeitig mit einer schriftlichen Fassung fertig geworden)

Was Rosa-grün macht, ist an vielen Punkten das Gegenteil von den Versprechungen, mit denen sie die Wahlen gewonnen haben: Rentenkürzungen, kein Atomausstieg, Verschlechterungen für Arbeitslose und Steuergeschenke an die Unternehmer. Die Krankenkassen wären sofort saniert, wenn alle 13,5% vom Bruttolohn als Krankenkassenbeitrag bezahlen müßten [ich mein ja nur, von wegen »reformistischer Possibilitismus«]. usw. usw. Dann lag der Krieg in der Luft und das BRD-Regime ist draufgesprungen und hat mitgemischt - und will jetzt mit Schwung auch innenpolitisch einen Durchbruch erreichen. Die Workfare-Programme sind auf einer neuen Stufe angelangt: nicht mehr Unkraut jäten auf dem Friedhof, sondern Burger verkaufen bei McDonalds als nicht mehr nur staatliche Disziplinierung der Arbeitsunwilligen, sondern ihre Zuführung in die direkte Verwertung. Das Sofortprogramm für jugendliche Arbeitslose hat zigtausend Jugendliche zu deutlich schlechteren Bedingungen in Arbeit gesteckt. Das Bündnis für Arbeit schleift weitere Tabubereiche gewerkschaftlicher Interessensvertretung.

Das ist die Konstellation des Bruchs von oben - wie sieht es mit dem Bruch von unten aus? Rosa-grün hat bei den Europawahlen erstmal einen Denkzettel gekriegt; überall wo die Neo-Sozialdemokraten einen Angriff auf die sozialstaalichen Garantien fahren, haben sie massiv verloren. Dort, wo sie traditionell sozialdemokratische Reformpolitik machen, haben sie Stimmen dazugewonnen. Das auch zum Stand der Klarheit und Hoffnungen auf seiten der Klasse! Allerdings ist das partiell noch immer eine richtige Wahrnehmung: Gut, die Renten werden nur um die Inflationsrate erhöht; die Arbeitslosenhilfe ebenso. Klar ist das »Betrug an den Wählern«, aber wer wird deshalb schon auf die Straße gehen? Erst haben sich die Leute ge-täuscht und sind wählen gegangen, dann wurden sie ent-täuscht - sehen sie jetzt klarer?

Aber auch wenn Schröder aus den Wahlergebnissen Munition machen will für einen noch kapitalfreundlicheren Regierungskurs (»Wir haben verstanden.«), das wichtigere war zweifellos die niedrigste Wahlbeteiligung seit vielen Jahren: in der BRD sind knapp 27½ Millionen wählen gegangen, über 33 Millionen sind nicht wählen gegangen, neun Millionen mehr als bei den letzten Europawahlen. Immerhin. Politikmüdigkeit, kein Vertrauen in die herrschenden Parteien. Es gibt eine Krise der Betätigung, des Mitmachens. Das ist noch kein bewußter Bruch und noch lange kein neuer gesellschaftlicher Aufbruch, wohl eher eine Verweigerung, die (noch) keine Alternative sieht.

Das müssen wir im Auge haben, wenn wir von einem »Bruch« sprechen. Wir selber können erstmal nur einen Bruch zwischen der revolutionären Linken und der staatsfixierten Linken befördern. Erst damit können wir glaubwürdig werden für andere Menschen, die unter diesem System leiden und nach einem Ausweg suchen. Die gesamten Vorstände der größeren deutschen Banken haben inzwischen Betrugsanklagen am Hals, die gesamten Eliten sind strukturell korrupt und das wissen auch alle (Bangemann ist kein Einzelfall). Im Tatort läßt die deutsche Atommafia killen und Kinder entführen, in Akte X probt die amerikanische Regierung Seuchen-Angriffe gegen die eigene Bevölkerung ... - das sind keine linksradikalen under ground-Videos, sondern »normale« Fernseh-Unterhaltung!

In einer solchen Zeit, wo die Wirtschaft seit fast 30 Jahren nicht aus der Krise rauskommt, wo viele Menschen sich von ihrer Regierung nichts mehr erwarten und ihr im Gegenteil alles zutrauen, wo die Herrschenden 11 Wochen lang ein kleines Land kaputtbomben, ohne daß sich ein nennenswerter Widerstand dagegen rührt, macht sich eine Linke komplett lächerlich, die immer noch (und wieder!) auf den Staat setzt. Die historische Periode, in der alle auf den Nationalstaat gesetzt haben, Linke wie Rechte, Bürgerliche wie Sozialisten, ist 200 Jahre nach der Französischen Revolution endgültig abgelaufen; nur ein Häufchen ewiggestriger Linker will das nicht wahrhaben und geht mit ihrer Staatsfixiertheit bis zu der ekelhaften Absurdität, einen Bombenkrieg zu unterstützen, damit Menschenrechte verteidigt werden sollen!

Die politischen Vertreter der '68er Bewegung sind an den Spitzen des Staats und der NGOs angekommen. Damit ist '68 aber auch vorbei, insofern es die letzte Revolution war, die daran glaubte, daß man die Politik, den Staat verbessern könne. Trotzdem haben wir es heute mit einem massiven Einschwenken der restlichen Linken auf neo-reformistische Positionen zu tun, die sich hauptsächlich als Neokeynesianismus ausdrücken (dazu haben wir in den letzten Zirkularen eine Menge geschrieben).

Von Kapitalseite hingegen ist der Regierungsauftrag klar: die Verwertungsbedingungen auch in den Metropolen wieder sanieren - ob mit dieser oder einer anderen Koalition!

Inzwischen haben sich nicht nur im Durchschnitt, sondern auch die zentralen Bereiche der Produktion gründlich verändert: Festeinstellung grundsätzlich erst nach mindestens einjähriger Bewährung; Leiharbeiter mit wesentlich niedrigeren Stundenlöhnen, aber mit Facharbeiterausbildung, stehen am Band direkt neben Stammarbeitern der Automobilfirma, alles geregelt über Firmentarifverträge mit DGB-Gewerkschaften.

In der Beilage findet Ihr drei Texte, die etwa 30 Jahre alt sind. An einigen Stellen merkt man ihnen ihr Alter auch an, hier ist die Diskussion in den letzten Jahrzehnten einfach weitergegangen! In ihrer theoretischen und politischen Stoßrichtung sind die Texte aber keinesfalls veraltet und wir versprechen uns eine ganze Menge Anregungen für die Debatte.

P.S. Wir stellen gerade einen Reader mit den Materialien zum Jugoslawienkrieg zusammen, weil viele der Texte, die wir gelesen und diskutiert haben, schwer zugänglich sind. Das Ding wird zwischen 80 und 100 Seiten Din A4 haben (Texte in Deutsch und Englisch). Wer es bestellen will, soll 10 Mark überweisen oder in Briefmarken an Shiraz Köln schicken.

[Der Reader kann als PDF-Datei heruntergeladen werden.]

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