Es ist mehr als 20 Jahre her, dass Brasilien eine solche Explosion von Arbeiterkämpfen erlebt hat, wie man sie im März 2011 im Umfeld der Riesenbaustellen des PAC (Programa de Aceleracion del Crecimiente, Programm für Wachstumsbeschleunigung) beobachten konnte. PAC ist das ambitionierteste Infrastrukturmodernisierungsvorhaben, was es seit der Militärdiktatur (1964-1985) gab. Mehr als 80.000 Bauarbeiter traten in den Streik, nachdem es zuvor auf der Baustelle des Energiewerks in Jirau, am Fluss Madera im Staate Rondonia, mitten im Urwald nahe der Grenze zu Bolivien, zu einem Aufstand gekommen war. [...]
Aus Wildcat 89:
Genossen aus Italien haben für uns die schwierige Suche nach einem gemeinsamen Terrain zwischen oppositionellen FIAT-ArbeiterInnen, Studierenden und prekären ArbeiterInnen beschrieben. Nachdem der Neoliberalismus alles Kollektive angegriffen und zersetzt hat, setzen die objektive Krise des Kapitals und die Kämpfe heute wieder ganz grundsätzliche Überlegungen auf die Tagesordnung – was vor wenigen Jahren noch unmöglich schien...
Wie in anderen Ländern in und außerhalb Europas (siehe die jüngsten Auseinandersetzungen in Nordafrika) kam es auch in Italien in den letzten Monaten zu sozialen Kämpfen, wie es sie quantitativ und qualitativ schon lange nicht mehr gegeben hat. Schon vor zwei Jahren waren tausende Studierende in der Bewegung »Onda Anomala«1 gegen die fortdauernde finanzielle Austrocknung der Unis (die berüchtigten Einschnitte am staatlichen Finanzierungsfonds im Haushaltsentwurf vom Sommer) auf die Straße gegangen – und hatten sich dort in die viel breitere Mobilisierung von MittelstufenschülerInnen und LehrerInnen der Primar- und Sekundarstufe gegen die Schulreform von Ministerin Gelmini eingereiht.
Trotzdem schaffte es die Bewegung nicht, die weitergehende gesellschaftliche Unzufriedenheit aufzunehmen (auch die gegen die Berlusconi-Regierung gerichtete legalistische Linke begleitete etwa im Gewand der Zeitung La Repubblica nur die ersten Schritte der Bewegung), sie blieb somit isoliert und verschwand nach dem Herbst in der Versenkung, ohne viel erreicht zu haben.
Mit der Verschärfung der Krise 2010 fanden dann jedoch mehr oder weniger stille Kämpfe statt: am oder für den Arbeitsplatz, zum Schutz der Umwelt (Aquila, Terzigno) oder in diffuser Weise gegen die Regierung. Der mutige Versuch der FIAT-ArbeiterInnen in Pomigliano, sich der Erpressung durch den Vorstandschef Marchionne zu widersetzen, sticht besonders hervor. Dieser drohte, das Werk zu verlagern, und machte damit massiv Druck gegen die gewerkschaftlichen Vertretungen und für noch miesere Arbeitsbedingungen.
Die Gewerkschaften FIM-CISL und UILM-UIL kollaborierten im Wesentlichen und ließen die FIOM (die Metaller-Abteilung der CGIL) und die Basisgewerkschaften im Stich. Diese erhielten aber Unterstützung und Zustimmung aus weiten Teilen des Landes. [...]
English version
Versione italiana
Aus Wildcat 89:
Das historische »Ende des Liberalismus« ( Wildcat 88) und seiner Orientierung auf den Staat hat auch die nichtorthodoxe, marxistische Geschichtswissenschaft nach neuen Konzepten suchen lassen; als Hauptströmungen bildeten sich zum einen die Weltsystemanalyse (mit ihren Hauptvertretern Wallerstein, Silver und Arrighi) und zum anderen die Global Labor History heraus.
Die Weltsystemanalyse bietet in Einzeluntersuchungen (etwa Forces of Labor von B. Silver) einen guten Kompass zum Verständnis langfristiger Entwicklungen. Ihr theoretischer Ansatz ist an vielen Punkten fraglich, sie fußt auf naturwissenschaftlichen Konzepten von Systemen und deren Ausgangsbedingungen (siehe z.B. Wallersteins Bezug auf den Chemiker Prigogine). Sie ist in dem Sinn »offen«, dass Geschichte nicht als linear ablaufender Prozess verstanden wird und die Gesellschaftsform nach dem finalen Systemcrash als nicht vorherbestimmt. Sie geht aber sehr wohl von einem »natürlichen« geschichtlichen Prozess aus, der in Zyklen von Systemlebensphasen verläuft. Systemwechsel werden von finalen Systemkrisen eingeleitet und finden in einer chaotischen Übergangszeit statt. Das ist eine deutlich andere Fragestellung als die nach »revolutionären Umwälzungen«! [weiter...]
...haben wir mal wieder ein Heft in großer Aufbruchstimmung produziert! In der Stagnationsphase der kapitalistischen Krise verallgemeinern sich die Kämpfe! Aber kurz vor Druckbeginn gab es einen doppelten Dämpfer. Zunächst die Katastrophe in Japan, dann die militärische Einkreisung der Aufstände im arabischen Raum durch die Interventionen in Bahrain und Libyen. Wir können im Heft auf diese neuesten Entwicklungen nicht mehr eingehen, aber unsere Schwerpunktsetzung Erdöl / Nahrung / Ägypten ist umso aktueller geworden. [weiter...]
Der letzte buko hatte die Commons als Schwerpunkt; analyse&kritik schreibt seit einem Jahr fast kontinuierlich zum Thema; Negri/Hardts letztes Buch heißt Common Wealth; die Ökonux-Szene bezieht sich verstärkt auf die Commons; Eleonore Ostrom bekam für ihre Forschungen zu »Allmendestrukturen« den Nobelpreis; viele andere bürgerliche Gruppierungen hoffen angesichts der (finanziellen) Krise der Kommunen auf (günstigere) Lösungen jenseits des Sozialstaats.
Andererseits gibt es Suchbewegungen von unten, die Rohstoffengpässe, Nahrungsmittelkrisen, »Klimakatastrophe« und soziale Polarisierung einerseits, Kämpfe gegen Privatisierung, Bürgerentscheide um öffentliche Güter wie Wasser und Verkehr, urban gardening, Tauschläden, Umsonst-Kampagnen, Wohnprojekte andererseits in einen globalen Zusammenhang zu stellen versuchen. [weiter...]
Aufgenommen am 26. Januar 2011 vom Collectif Lieux Communs aus Frankreich
Die ganze Welt hat den ersten Sturz eines arabischen karikaturhaft autokratischen und korrupten Regimes miterlebt, den man nicht mehr für möglich gehalten hat. Trotz der latenten Unzufriedenheit und punktuellen Erhebungen in den letzten Jahren hat der Aufstand alle Leute überrascht, auch diejenigen, die noch am meisten Kontakt mit der sozialen Realität hatten. Warum? Und wie schätzt Ihr die Ereignisse ein?
▶ Den Aufstand hat praktisch niemand vorhergesehen, aber er war für viele, auch uns, keine Überraschung.
▶ Wir können das, was passiert ist, als Volkserhebung charakterisieren: das ist keine Revolution in traditionellen, strengen und umfassenden Sinn. Was geschehen ist, ist mit den Intifadas vergleichbar, den Erhebungen, den Revolten, die sich in den besetzten Gebieten in den 1990er Jahren abgespielt haben. Eine Volksbewegung für Demokratie, grundlegende Freiheiten und mit sozialen Forderungen: politische und soziale Forderungen überschneiden sich und gehen durcheinander. [weiter...]
Großbritannien: Mit Jahresbeginn kommt die harte Realität: die Mehrwertsteuer ist um 2,5 Prozentpunkte gestiegen, die kommunalen Budgets werden um bis zu 17 Prozent gekürzt, bei Sozialleistungen soll radikal gekürzt werden (dazu gehört auch der National Health Service, bisher ist ja Krankenversorgung in Großbritannien noch umsonst). Schon jetzt ist die Inflation je nach Berechnung zwischen 3,3 und 4,7 Prozent. Und spätestens im Frühjahr beginnt der Staat mit den Massenentlassungen von 500.000 Beschäftigten im Öffentlichen Dienst.
Wir gehen also offensichtlich von »Phase 3« zu »Phase 4« über. Gegen das Sparprogramm der Regierung gingen schon im November und Dezember SchülerInnen, Studierende und Staatsangestellte auf die Straßen. Dazu die beiden folgenden Berichte.
Die gewalttätige und begeisternde 'Studenten'-Demo in der Londoner Stadtmitte am 9. Dezember 2010 war die einfallsreichste Demonstration, die wir je gesehen haben, einschließlich des wunderbaren Jahres 1968. Die trotzkistische Linke wurde ziemlich an den Rand gedrängt, sogar die smarte, aber leider sehr reduktionistische Ultralinke hinterließ kaum Eindruck. In einer anregenden und freundlichen, aber auf Vandalismus gestimmten Atmosphäre, auf vielen selbstgemachten, zusammengepfriemelten, oft großartig formulierten Pappschildern, überall herrschte eine Art situationistisch beeinflusster Gemeinschaftlichkeit mit offenem Ausgang vor. Eine individuelle Kollektivität, bei der du wusstest, dass sie genau richtig war, weil sie sich richtig anfühlte. [weiter...]
[leicht gekürzte Übersetzung]
In Frankreich gibt es eine Art Demonstrationskult oder -routine, die weniger Ausdruck direkter Klassenaktion und viel eher eine Handlung ist, um politischen Druck auszuüben.Es ist eine Waffe in den Händen der Gewerkschaften, denn sie sind praktisch die einzigen, die bedeutende frankreichweite Aufmärsche organisieren können. Regierung und Gewerkschaftsverbände streiten dann über die Zahl der Demonstranten, weil sie als Thermometer für die soziale Spannung angesehen wird und den Gewerkschaftsführern mehr Gewicht in ihrem Dialog mit der Macht gibt.[weiter...]
In der Wildcat 88 gibt es einen großen Block zu Europa (Spanien, Frankreich, England, Griechenland). Schon beim Schreiben der Artikel war uns klar, dass die Proteste jetzt erst richtig losgehen; wenige Tage vor dem Druck schlugen die SchülerInnen in London das erste Mal zu. Nun eskaliert die Situation in Spanien. Zunächst ein kurzer Ausschnitt aus dem Spanien-Artikel in der aktuellen Wildcat 88, um den Zusammenhang klarer zu machen, dann ein update zum Fluglostenstreik und zur Verhängung des Notstands.
Nachdem die globale Krise Ende 2009 (Dubai) zur Staatsschuldenkrise und Anfang 2010 zur »Eurokrise« geworden war, folgte Anfang Mai die Weichenstellung. Sie konnten Griechenland nicht »fallen lassen« wegen der Konsequenzen für französische und deutsche Banken, für die Euro-Zone insgesamt und für das globale Finanzsystem. Die scheinbare europäische Solidarität der »Rettung« wurde mit drakonischen Sparauflagen verbunden und ideologisch flankiert mit einer krassen Hetze gegen »die faulen Griechen«. In der ersten Phase war die Kritik am Kapitalismus auf »die gierigen Banker« umgeleitet worden, nun wurden diese durch »die Faulenzer« ersetzt. Im gleichen Zug wurde die Krise europaweit in Form beinharter Austeritätsoffensiven in voller Breite gegen die Klasse gewendet.
Was im europäischen Maßstab die »faulen Griechen« sind, im Sarkozy-Frankreich »die Zigeunerin«, war in Deutschland Anfang des Jahres die »dekadente Hartz IV-Empfängerin« und ist seit dem Sommer der »integrationsunwillige Einwanderer«. [weiter...]
In der Wildcat 88 beginnen wir eine Debatte um die Commons. Unser Ausgangspunkt ist die globale Zunahme an Mobilisierungen, Kämpfen und Revolten; in der BRD etwa die Bewegung gegen Stuttgart21 und die breiten Proteste gegen den Castortransport.
Zudem laufen seit einigen Jahren verschiedene praktische Initiativen aus Kreisen der ehemaligen »Antiglob-bewegung« sich entlang der Commons neu zu sortieren:
Die –weltweite – Diskussion um die Commons soll als Klammer um die Kämpfe und Debatten funktionieren: sie thematisiert die Kämpfe und die Commons als Antwort auf die kapitalistische Krise und als Perspektive. Wir wollen herausbekommen, an welchen Punkten was neues ausprobiert wird und wo Leute tatsächlich zusammenkommen. Gibt es Verbindungen zwischen der Ausweitung prekärer Arbeit, den Kämpfen in den »neuen Arbeitsbedingungen« oder gegen Betriebsschließungen einerseits und den Projekten und Diskussionen um die Commons andererseits? Bzw. wie sehen diese Verbindungen aus?
2007 erschien bei Pluto Press/London The Beginning of History: Value struggles and global Capital von Massimo DeAngelis. Die GenossInnen von Aufheben haben es in Nr. 16/2008 besprochen.
Die wichtigsten Argumente dieser Kritik haben wir im folgenden zusammengefasst.
Mit über 24stündiger Verspätung war dieses Jahr der längste Castor-Transport. Das ist zweifelsohne ein Erfolg der massiven Mobilisierung ins Wendland, die so groß war wie noch nie. Im folgenden eine erste Bestandsaufnahme, ausgehend von persönlichen Erfahrungen während der Tage. [weiter...]