Bedienungsanleitung
Das Zirkular ist ein Diskussionsraum. Artikel beziehen sich auf frühere Artikel und sind manchmal nur so verständlich. Eine »moderne« Firma würde das sicherlich als »virtuellen Erlebnisraum« mit Sprungmarken, Hyperlinks und bewegten Bildern gestalten. Unmodern wie wir sind, finden wir Papier angenehmer für die hoffentlich weniger virtuellen LeserInnen. Daher stattdessen diese Bedienungsanleitung. Wenn sie euch genauso unverständlich vorkommt, wie die eures neuen Anrufbeantworters aus Taiwan, dann lest erstmal die Texte. Die meisten Anrufbeantworter funktionieren schließlich auch ohne Anleitung. Und wenn sie erstmal funktionieren, läßt sich auch die Bedienungsanleitung besser verstehen.
Offene Antwort auf einen offenen Brief von John Holloway: springe zurück zu Zirkular 39! Seit dem Zirkular 21 (»Capital Moves«) haben wir viele Beiträge von John Holloway übersetzt und nachgedruckt.
Zum einen gefiel uns seine radikale Kritik an der neolinken Krisentheorie, wonach der Kapitalismus bereits in ein neues erfolgreiches Akkumulationsstadium eingetreten sei, höchstens ein paar kleine Reformen ließen sich noch durchsetzen. Hierzulande wird das von Leuten wie Joachim Hirsch (das ist der mit dem »nationalen Wettbewerbsstaat« Kritik von John Holloway und seinem Kumpel Werner Bonefeld in Zirkular 39) verbreitet. Politische Gruppen wie »Fels/Arranca!« benutzen das wiederum als Vorlage für ihr offenes Bekenntnis zu reformistischer Realpolitik, von der wir auch nicht viel halten Anmerkungen in Zirkular 40/41.
Zweitens erinnert Holloway immer wieder an den Anspruch einer radikalen, destruktiven Kritik des Kapitalismus: der Kapitalismus ist ein instabiles Gebilde, weil er von uns selber produziert wird. Das Kapital ist von der lebendigen Arbeit abhängig, es ist nichts anderes als die Mystifizierung und Verdinglichung unseres eigenen gesellschaftlichen Lebens. Die Arbeiterklasse ist der Stachel im Fleisch des Kapitalismus, und an ihrer subversiven Kraft wird er zugrunde gehen. Die Entwicklungen und krisenhaften Sprünge des Kapitalismus lassen sich nur aus dem Kampf der Arbeiterklasse verstehen, nicht aus irgendeiner Eigengesetzlichkeit »der Wirtschaft« Zirkulare 28/29, 30/31 und 34/35.
Politisch fanden wir das ermutigend, und theoretisch setzt er Maßstäbe für jede radikale Kritik dieser Gesellschaft. An einigen Punkten blieb er uns aber zu abstrakt, sah die Lösung unserer Problem in zu leichten und geradezu philosophischen Antworten. Vor etwa einem Jahr haben wir ihm das in unserem »offenen Brief« geschrieben, zwischendurch einmal mit ihm diskutiert. Nun antwortet er.
Ein Punkt unserer Diskussion - nicht der wichtigste - ist seine Einschätzung der Aufstandsbewegung in Chiapas/Mexiko »Chiapas und die globale Proletarisierung« mit einem kritischen Beitrag von Charles Reeve in diesem Zirkular.
Ende der Arbeit oder Wiederkehr der Sklaverei von George Caffentzis enthält ebenfalls am Rande die Aussage, der Aufstand in Chiapas sei der zentrale Punkt im heutigen weltweiten Klassenkampf. Nachdem er Toni Negri in Grund und Boden kritisiert hat, fällt ihm als Alternative zu dessen Strategie nur der Bezug auf Chiapas ein. Eigentlich schwach, nachdem er den Kampf gegen die uns weiterhin aufgezwungene Arbeit so sehr in den Mittelpunkt gestellt hat - lassen wir ihn mit Charles Reeve diskutieren.
Den Text »Ende der Arbeit oder Wiederkehr der Sklaverei« halten wir für zentral, weil er herausarbeitet, daß uns das Kapital nicht so einfach aus seinen Gefängnissen der Ausbeutung entlassen wird. Geschickterweise hat er sich dabei zwei ganz unterschiedliche Theoretiker vorgenommen: den US-amerikanischen Unternehmensberater und Bestsellerautor Rifkin und den italienischen Theoretiker der Arbeitermacht Negri. Beide gehen davon aus, daß das Kapital uns nicht mehr braucht, und wir daher auch das Kapital, d.h. die Orte der Ausbeutung, getrost vergessen können. Das läuft auf die strategische Linie hinaus, die auch hier zunehmend diskutiert wird als »Entkoppelung«, »Lokalökonomie«, »Freiräume«, »Tauschringe« oder Wiederbelebung von Genossenschaften (bei Rifkin gehört das alles irgendwie zum »nicht profitorientierten Sektor«, den er »den dritten Sektor« nennt). Die politische Forderung nach einem Existenzgeld oder Mindesteinkommen, die Toni Negri etwas raffinierter als die hiesige Linke in seinem Vorschlag für einen »garantierten Lohn« begründet (»Arbeit und Einkommen« in diesem Zirkular), bildet den (sozial)staatlichen Rahmen für solche Strategien. Indem er schlüssig aufzeigt, daß wir keinesfalls von einem Ende der Arbeit ausgehen können - im Gegenteil! -, entzieht Caffentzis diesen harmonischen Perspektiven den Boden. Solange es Kapitalismus gibt, muß der Kampf gegen die Sklaverei jedweder Arbeit im Mittelpunkt stehen.
George Caffentzis stammt aus einer Gruppe in den USA, die sich seit Anfang der 70er Jahre am italienischen Operaismus orientiert. Wir haben in den letzten zehn Jahren viele ihrer Texte übersetzt. 1973 und 1975 erschien die Zeitschrift »Zerowork« ( auf deutsch in TheKla 10), seit den 80er Jahren geben sie die Zeitschrift »Midnight Notes« heraus. Die Diskussion um das Ende der Arbeit ist für Caffentzis nicht neu (siehe seine Kritik am Beitrag von Mario Montano in Zerowork, der sich an Negri orientiert hatte: »Arbeit, Entropie, Apokalypse«, deutsch in TheKla 12; zur Erläuterung des Streits Caffentzis in Zirkular Nr. 7). Seine Argumentation bleibt allerdings marxistisch-orthodox: er verteidigt die Arbeitswertlehre von Marx, scheint aber zu vergessen, daß das Kapital (d.h. der sich verselbständigende Wert) selber nur das verdinglichte Verhältnis der Produzenten zueinander und zur Produktion ist. Caffentzis könnte von Holloway einiges lernen.
Indonesien 1998 - Revolution oder Reform leitet zur Debatte um Chiapas über. Aber das liegt doch gar nicht in Mexiko! Eben. Die Krise in Asien, die mittlerweile auch Japan ergriffen hat, weitet sich zu einer Bedrohung der globalen kapitalistischen Entwicklung aus. Umso wichtiger zu verstehen, was sie mit den Kämpfen und Revolten der ProletarierInnen dort zu tun hat ...
Chiapas und die globale Proletarisierung besteht aus vier Texten: Auslöser war die Antwort von Charles Reeve auf Kritik an einer von ihm mitverfaßten Broschüre zu Chiapas (die Bedienungsanleitung kann hier kurz bleiben, da die einzelnen Bedienungsschritte im längeren Vorspann zu diesem Teil zu finden sind).
Charles Reeve hat schon 1972 eine grundlegende Kritik am Maoismus geschrieben, die 1975 bei Association auf deutsch erschien: »Der Papiertiger. Über die Entwicklung des Kapitalismus in China«. Er hat sich auch später mit der Entwicklung und den Klassenkämpfen in China beschäftigt (»Rückkehr nach China« in WILDCAT 58, 1992; »Der Papiertiger und die Plastikdrachen« in Zirkular 44). Die Schärfe seiner Kritik an der EZLN in Chiapas, die für viele jüngere Solidaritätsbewegte unverständlich ist, verdankt sich seiner langen Auseinandersetzung mit dem Maoismus und seiner Kritik an sämtlichen Formen des Avantgardismus, der nach den Studenten-, Schüler- und Arbeiterrevolten in den Metropolen fröhliche Urstände feierte. Damals hat der Maoismus die Revolte von innen heraus kassiert, heute sind die meisten der damaligen maoistischen Führer Regierungsberater, und mußten ihre Meinungen gar nicht (so sehr) ändern: die maoistischen Führer haben schon immer die Massen als etwas gesehen, das beherrscht und manipuliert werden kann. Charles Reeve ist heute wie damals libertärer Kommunist.
In letzter Zeit haben wir von ihm eine gründliche Analyse der Streikbewegung in Frankreich vom Dezember '95 und eine Einschätzung der Arbeitslosenbewegung veröffentlicht (»Sturmwarnung« in Zirkular 25; »Kampf der Arbeitslosen, Vigipirate, garantiertes Einkommen und Ende der Arbeit ...« in Zirkular 44). Im letzten Text schießt Reeve gegen dieselben Ideologien vom »Ende der Arbeit«, die Caffentzis theoretisch auseinandernimmt. Umso auffälliger ist, daß sie in bezug auf Chiapas und die EZLN völlig entgegengesetzte Positionen vertreten. Reeve ist genauer, wenn es um die Bewegungen selber geht und besteht auf der Frage nach Selbstbefreiung, nach der einzig möglichen Emanzipation durch die Selbsttätigkeit der Menschen. Holloway und Caffentzis sollten Reeve zuhören und könnten einiges über emanzipatorische Prozesse erfahren, was sich nicht aus der theoretischen Kritik des Kapitals erschließen läßt.